Erdzauber 01 - Die Schule der Rätsel

nicht erinnern«, antwortete Danan. »Er ging bei Sol in die Lehre. Die Muster für die Verzierungen wurden von Yrth entworfen.«
    »Und Sol hat diese Sterne geschliffen. Darf ich sie mir ansehen?« fragte er bittend, und Morgon reichte ihm die Harfe hinüber.
    Der Schatten eines Gedankens war bei Ashs Worten formlos wie ein Nebelwölkchen durch seinen Geist gezogen. Er bekam ihn nicht zu fassen. Bere spähte über Ashs Schulter, während dieser das Instrument betrachtete. Soni, die ungestüm nach einer schimmernden Saite grapschte, erschreckte ihn. Er richtete sich hastig auf und drückte das Kind fester an sich.
    »Ash«, bat Vert, »hör jetzt auf, die Facetten zu zählen. Ich möchte etwas hören.«
    Widerstrebend gab Ash die Harfe an Morgon zurück. Ebenso widerstrebend nahm Morgon sie. Plötzliches Verständnis schimmerte weich in Verts Augen, als sie sagte: »Spielt etwas, das Ihr liebt. Spielt etwas aus Hed.«
    Morgon stellte die Harfe auf seine Knie. Einen Moment lang strichen seine Finger ziellos über die Saiten, dann schlugen sie die sanften, schwermütigen Akkorde einer Ballade an. Die satten, schönen Töne, die nur er zum Klingen bringen konnte, gaben ihm Sicherheit; selbst die einfache Ballade von Liebe und Tod, die er hundertmal schon gehört hatte, gewann eine wehmütige Würde. Während er spielte, roch er auf einmal den Duft des Eichenholzes, das im Feuer brannte, sah, wie die Lichter um ihn herum über die Wände von Akren flackerten. Die sanfte Weise weckte in ihm einen Frieden, der, das spürte er instinktiv, in dieser Nacht über Hed lag; die friedliche Ruhe eines Landes, das unter einer Schneedecke schlief und dessen Tiere wohlig und warm in ihren Unterschlupfen träumten. Der Friede glättete die Linien von Müdigkeit und Anspannung in seinen Zügen.
    Doch da geschah etwas in ihm; zwei Dinge fügten sich in seinen Gedanken mühelos, unwiderlegbar zusammen, und er unterbrach sein Spiel, ließ die Finger reglos auf den Saiten liegen.
    Jemand protestierte zaghaft. Dann hörte er Thods Stimme aus den Schatten des Raums.
    »Was ist?«
    »Sol. Er wurde nicht von den Händlern getötet, weil er es aus Angst nicht wagte, sich vor ihnen in der Höhle der Verlorenen zu verstecken. Er wurde - wie meine Eltern, wie der Morgol Dhairrhuwyth - von Gestaltwandlern getötet. Er war in die
    Höhle hineingegangen und kam wieder heraus, um auf der Schwelle für das zu sterben, was er gesehen hatte. Und gesehen hatte er Yrths Schwert.«
    Alle waren ganz still, selbst die Kinder. Mit starren Blicken wandten ihre Gesichter sich ihm zu. Vert fröstelte, als hätte ein kalter Windhauch sie berührt, und Ash, dessen Züge nichts mehr von der Lust zeigten, mit der er dem Harfenspiel ge
    lauscht hatte, fragte: »Was für ein Schwert?«
    Morgon sah Danan an. Die Lippen des Königs waren geöffnet; er schien auf der Suche nach einer verlorenen Erinnerung.
    »Dieses Schwert«, sagte er. »Ich entsinne mich. Yrth schmiedete es im geheimen. Er sagte, er hätte es begraben. Ich habe es nie gesehen; keiner hat es je gesehen. Das war vor langer Zeit, noch ehe Sol geboren war. Wir öffneten damals gerade die oberen Schächte. Ich habe nie wieder daran gedacht. Aber wie könnt Ihr wissen, wo es sich befindet? Oder wie es aussieht?
    Oder daß Sol um seinetwillen getötet wurde?«
    Morgons Finger glitten von den Saiten zum Holz der Harfe. Er senkte den Blick, als könnte die klare Aufreihung der Saiten seine Gedanken ordnen.
    »Ich weiß, daß es ein Schwert gibt, das drei Sterne trägt, genau wie diese Harfe. Ich weiß, daß auch die Gestaltwandler es gesehen haben. Meine Eltern ertranken auf der Fahrt von Caithnard nach Hed, als sie mir diese Harfe bringen wollten. Der Morgol Dhairrhuwyth wurde auf dem Isig-Paß getötet, als er auf der Suche nach der Lösung eines Rätsels von drei Sternen war. Der Zauberer Suth wurde vor einer Woche in Osterland getötet, weil er zuviel von diesen Sternen wußte und es mir sagen wollte.«
    »Suth wurde getötet?« fiel ihm Ash ins Wort. »Suth?«
    »Ja.«
    »Aber wie denn? Wer hat ihn getötet? Ich dachte, er wäre längst tot.«
    Flüchtig blickte Morgon zu Thod hinüber.
    »Das ist eine Frage, die ich dem Erhabenen stellen werde. Ich glaube, Yrth verbarg dieses Schwert in der Höhle der Ver- lorenen, weil er wußte, daß niemand diesen Ort betreten würde. Und ich glaube, Sol wurde nicht von räuberischen Händlern getötet, sondern entweder von Gestaltwandlern oder - eben jenen Mächten,