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Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Titel: Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia A. McKillip
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den lautlosen Tiefen des Berges. Etwas, das tiefer lag als alles Verstehen, ein Gefühl von Sehnsucht, von absoluter Einsamkeit, von instinktivem Begreifen rührte sich in ihr und verwirrte sie mit dem schmerzlichen Erkennen, erschreckte sie mit der Intensität, die mit ihm einhergingen, bis sie es schließlich weder ertragen konnte, die namenlose Stadt anzusehen, noch, sich von ihr abzuwenden.
    Leise klopfte es an ihrer Tür. Da erst wurde sie gewahr, daß sie mit blinden Augen dastand, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Wie unter einer körperlichen Anstrengung, als schöben sich zwei massige Steinbrocken nahtlos ineinander, einen Spalt zu schließen, rückte die Welt wieder in das Licht von Vertrautheit. Nochmals klopfte es. Sie wischte sich das Gesicht mit der Hand und ging zur Tür.
    Der Landerbe von Ymris stand auf der Schwelle. Sein fremdartiges Gesicht mit dem einen sehenden weißen Auge erschreckte sie aus irgendeinem Grund. Dann sah sie, wie jung dieses Gesicht war, sah die Linien, die Schmerz und Geduld in seine Züge gezeichnet hatten.
    »Was ist?« fragte er rasch und behutsam. »Ich bin gekommen, um mit Euch ein wenig über den - über Morgon zu sprechen. Ich kann später wiederkommen.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein. Bitte, kommt herein. Ich war nur - ich -« Hilflos brach sie ab, nicht wissend, ob er die Worte verstehen konnte, die sie gebrauchen mußte. Ein Gefühl trieb sie, die Hand nach ihm auszustrecken, sich an ihm festzuhalten, als könnte sie nur so ihr Gleichgewicht bewahren. Halb blind wieder sagte sie: »Es heißt, Ihr hättet in den Ruinen einer anderen Zeit gelebt, Ihr wüßtet von geisterhaften Dingen. Es gibt - ich habe Fragen, auf die ich eine Antwort haben muß.«
    Er trat in das Zimmer und schloß die Tür hinter sich.
    »Setzt Euch«, sagte er, und sie ließ sich in einem der Sessel am kalten Kamin nieder.
    Er brachte ihr einen Becher Wein und setzte sich dann neben sie. Noch immer im Kettenhemd und der dunklen Kriegstracht des Königs von Ymris, sah er aus wie ein Krieger, doch die nachdenkliche Verwunderung auf seinem Gesicht war nicht solch schlichten Geistes.
    »Ihr habt Gaben«, sagte er unvermittelt. »Wißt Ihr das?«
    »Ja, ich weiß - ich habe gewisse kleine Gaben. Aber jetzt glaube ich, daß in mir Dinge sind, von denen ich niemals - von denen ich niemals wußte.« Sie trank einen Schluck Wein. Ihre Stimme wurde ruhiger. »Kennt Ihr das Rätsel von Oen und Ylon?«
    »Ja.« In seinem Auge blitzte etwas auf. »Ja«, sagte er nochmals leise. »Ylon war ein Gestaltwandler.«
    Sie neigte sich nach hinten, als wollte sie einem Schmerz ausweichen.
    »Sein Blut fließt in den Adern der Könige von An. Jahrhundertelang war er wenig mehr als eine traurige Mär. Aber jetzt will ich - ich muß es wissen. Er stieg aus dem Meer empor wie der Gestaltwandler, den Lyra sah, der, der Morgon beinah getötet hätte. Er war von der gleichen Farbe und von der gleichen Wildheit. Alle - alle Gaben, die ich habe, habe ich von Madir. Und von Ylon.«
    Lange Zeit schwieg er, sann über das Rätsel nach, das sie ihm unterbreitet hatte, während sie von ihrem Wein trank. Der Becher in ihrer Hand zitterte leicht.
    Schließlich sagte er stockend: »Was hat Euch zum Weinen gebracht?«
    »Diese tote Stadt. Sie - irgend etwas in mir entfaltete sich und wußte - und wußte, was sie einmal gewesen war.«
    Sein Auge glitt zu ihrem Gesicht. Seine Stimme klang brüchig, als er sprach.
    »Und was war sie?«
    »Ich war - ich stand im Weg. Es war wie die Erinnerung eines anderen in mir. Sie hat mir Angst gemacht. Ich dachte, als ich Euch sah, Ihr würdet das vielleicht verstehen.«
    »Ich verstehe weder Euch noch Morgon. Vielleicht seid Ihr genau wie er ein wesentliches Glied eines großen Rätsels, das so alt und so schwer zu erfassen ist wie diese Stadt auf der Ebene von Königsmund. Alles, was ich von den Städten weiß, beschränkt sich auf die Scherben, die ich finde, die kaum eine Spur sind vom vergangenen Leben und Wirken der Erdherren. Morgon mußte seine eigene Macht suchen und finden, so wie Ihr das werdet tun müssen; was er jetzt ist, nach dem -«
    »Wartet!« Ihre Stimme zitterte wieder. »Wartet!«
    Er beugte sich vor, nahm ihr den schwankenden Becher aus den Händen und stellte ihn auf den Boden. Dann nahm er ihre Hände in die seinen.
    »Ihr glaubt doch gewiß nicht, daß er tot ist.«
    »Hab’ ich denn eine Wahl? Ob er lebt oder ob er tot ist, ob er tot ist oder ob sein Geist

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