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Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser

Titel: Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia A. McKillip
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Augen.
    »Gut«, sagte Bri atemlos. »Gut. Ihr habt es. Legt ihn nieder - darauf wird er schwimmen.«
    Seine eigenen Augen waren fast ganz geschlossen, krampfhaft zusammengekniffen gegen das Licht.
    Sie ließ ihn ihre Hand führen, hörte, wie der Stein mit leisem Klirren in die kleine hölzerne Schale fiel, die er hielt. Seeleute ließen ihn in einem Netz zu Wasser. Es war, als ließen sie die Sonne ins Meer gleiten. Die sachten Wellen trieben die kleine Holzschale tänzelnd fort. Sie folgte ihr in Gedanken, sah, wie das weiße Licht in ihrem Geist unzählige Facetten bildete, sich in Kanten und Flächen erhärtete, bis ihr ganzer Geist ein einziger blitzender Edelstein zu sein schien, und während sie in ihn hineinblickte, bekam sie ganz langsam ein Gefühl für seinen Sinn.
    Sie sah jemanden, der wie sie dastand und den Edelstein in der Hand hielt. Er befand sich mitten auf einer Ebene in irgendeinem fremden Land, zu irgendeiner fremden Zeit, und während der Stein in seiner Handfläche blitzte, begann alle Bewegung rund um den, der dort stand, auf den Mittelpunkt des Steins zuzufließen. Sie hatte den, der dort stand, nie zuvor gesehen, doch sie wußte plötzlich, daß seine nächste Geste, eine Linienführung in seinem Gesicht, wenn er sich umdrehte, ihr seinen Namen verraten würde. Neugierig wartete sie auf diesen Moment, beobachtete ihn, während er den Stein nicht aus den Augen ließ, war gefangen in einem zeitlosen Augenblick seiner Existenz. Und dann spürte sie in ihrem eigenen Geist den eines fremden, der mit ihr wartete.
    Die Neugier dieses fremden Geistes war drängend, gefährlich. Erschreckt versuchte sie, sich ihm zu entziehen, doch das bestürzende, unvertraute Bewußtsein, daß da ein fremder Geist in ihren eingedrungen war, ließ sich nicht abschütteln. Sie spürte die gespannte Aufmerksamkeit, mit der er auf den namenlosen Fremden gerichtet war, dessen nächste Bewegung, ein Neigen des Kopfes, ein Spreizen der Finger, ihr sagen würde, wer er war. Hilfloses und unvernünftiges Entsetzen wuchs in ihr bei dem Gedanken an diesen Moment des Erkennens, der Preisgabe des Namens, den der Fremde trug, an den finsteren, machtvollen Geist, der so gespannt darauf wartete, ihn zu entdecken. Sie mühte sich, das Bild in ihrem Geist zu vertreiben, ehe er sich bewegte. Doch die geheimnisvolle, fremde Macht hielt sie fest; sie konnte das Bild nicht verändern und konnte es nicht auslöschen. Es war, als blickten die Augen ihres Geistes lieblos mitten in das Herz eines unverständlichen Geheimnisses. Dann schlug ihr plötzlich eine Hand rasch und hart ins Gesicht; sie fuhr zurück vor dem Zugriff einer kräftigen Hand.
    Das Schiff, das vor dem Winde lief, flog krachend über eine Woge, und sie zwinkerte sich den feinen Gischt aus den Augen.
    Lyra hielt sie fest umschlungen und flüsterte: »Verzeiht mir. Es tut mir leid. Aber Ihr habt geschrien.«
    Das Licht war erloschen; die Kriegsschiffe des Königs umkreisten einander weit hinter ihnen in heilloser Verwirrung.
    Bris Gesicht war blutlos, als er sie ansah und sagte: »Soll ich Euch zurückbringen? Ihr braucht es nur zu sagen, und ich kehre um.«
    »Nein. Es ist gut.« Lyra ließ sie los. Die Hand auf dem Mund, sagte Rendel nochmals: »Es ist gut jetzt, Bri.«
    »Was war das?« fragte Lyra. »Was war dieser Stein?«
    »Ich weiß es nicht. Etwas, das für irgend jemanden wichtig ist. Aber ich weiß nicht, was es war, und ich weiß nicht, warum -« Wortlos schüttelte sie den Kopf. »Es war wie ein Traum, so wichtig in jenem Augenblick, und jetzt - jetzt ergibt es keinen Sinn. Ich weiß nur, daß es insgesamt zwölf waren.«
    »Zwölf was?«
    »Der Stein hatte zwölf Seiten. Wie ein Kompaß.« Sie bemerkte Bri Corvetts verwirrten Blick. »Ich weiß. Es ergibt keinen Sinn.«
    »Aber was, in Hels Namen, hat Euch dazu gebracht, so zu schreien?« fragte er.
    Sie erinnerte sich wieder des machtvollen, erbarmungslosen Geistes, der den ihren in seiner Neugier gefangengehalten hatte, und wußte, daß es im ganzen Reich nicht einen Ort gab, wo sie vor ihm wirklich sicher sein würde.
    »Diesem Stein wohnt eine Macht inne«, sagte sie leise. »Ich hätte etwas Schlichteres nehmen sollen. Ich will mich jetzt eine Weile ausruhen.«
    Erst am Abend kam sie wieder aus ihrer Kabine. Sie stellte sich an die Reling und betrachtete die Sterne, die wie im fernen Abglanz des Lichts schimmerten, das sie gezaubert hatte. Etwas veranlaßte sie, plötzlich den Kopf zu drehen. Da sah sie

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