Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
Rendel.
»Nun gut«, sagte er dann kurz zu Heureu. »Ich schicke dir Nachricht aus Meremont, wenn ich zurück bin.«
»Danke.« Seine Finger umschlossen flüchtig Astrins Arm. »Sei vorsichtig.«
Rendel ging an Bord. Sie eilte zum Heck, hörte Bris Stimme, die hinter ihr merkwürdig lahme Befehle gab. Das erste der Kriegsschiffe glitt wie ein großer dunkler Vogel zur Mitte des Flusses; als es sich in Bewegung setzte, begannen sich die Nebel über dem stillen grauen Wasser zu drehen und rissen in Fetzen. Die ersten Sonnenstrahlen brachen sich an den hohen Mauern des königlichen Hauses.
Lyra trat zu Rendel. Sie schwiegen beide. Das Schiff, auf dem Tristan nach Hause fahren sollte, schob sich neben sie, und Rendel sah Astrins Gesicht, hager und geisterhaft bleich. Er stand auf Deck und sah zu, wie die anderen Kriegsschiffe sich hinter ihm einreihten. Bri Corvett mit seinem langsameren, schwerfälligeren Fahrzeug kam als letzter der gestaffelten Flotte. Und hinter ihnen kam die Sonne.
Sie lag glühend auf dem Gischt hinter ihnen.
Bri sagte leise zum Steuermann: »Haltet Euch bereit, auf mein Wort zu wenden. Wenn diese Schiffe langsamere Fahrt machen und uns auf offener See einkreisen, dann können wir ebensogut unsere Stiefel ausziehen und nach Kraal wandern. Genau das werde ich übrigens tun, wenn sie uns verfolgen und anhalten sollten. Astrin Ymris würde mir mit seiner ätzenden Zunge das eine Ohr abbrennen und Heureu das andere, und das, was dann von meinem Ruf noch übrig ist, könnte ich in einem durchlöcherten Stiefel mitten in Anuin tragen.«
»Keine Sorge«, murmelte Rendel. Der Stein funkelte wie ein königliches Juwel in ihrer Hand. »Bri, ich muß ihn hinter uns hertreiben lassen, sonst blendet er uns alle. Habt Ihr ein Stück Holz oder etwas Ähnliches?«
»Ich besorge etwas.«
Das träge Seufzen des Wassers drang an ihre Ohren; er drehte den Kopf. Das erste Schiff glitt schon aufs offene Meer hinaus. Unruhig wie der salzige Wind, der an ihren Segeln zupfte, sagte er nochmals: »Ich besorge etwas. Tut Ihr, was Ihr zu tun habt.«
Rendel senkte den Kopf und blickte auf den Stein in ihrer Hand. Er blitzte wie ein Stück sonnendurchglühten Eises. Von kunstvoll geschliffener Fläche zu kunstvoll geschliffener Fläche sprang das Licht. Sie machte sich Gedanken darüber, was er wohl einmal gewesen war, sah ihn im Geist als Edelstein in einem Ring, als prächtiges Mittelstück einer Krone, als Zierde eines Schwertknaufs vielleicht, der sich in Zeiten der Gefahr verdunkelte. Doch hatten die Erdherren je solche Dinge verwendet? Hatte der Stein ihnen gehört oder einer edlen Dame des Hofes von Ymris, die ihn beim Ausritt verloren hatte, oder einem Händler, der ihn in Isig gekauft und dem er dann bei dem Ritt über die Ebene von Königsmund blitzend aus der Tasche gefallen war? Wenn er unter dem Licht der Sonne in ihrer Hand wie ein winziger Stern blitzen konnte, dann würde er, das wußte sie, verzaubert mit seinem Feuer das ganze Meer entzünden, und kein Schiff würde den blendenden Glanz durchdringen können, selbst wenn es das wagen sollte. Doch was war der Stein gewesen?
Mit sanften Fingern spielte das Licht in ihrem Geist, vertrieb all die nächtlichen Schatten, nagende Erinnerungen aus verschwommenen Träumen. Ihre Gedanken schweiften zu der weiten Ebene, wo der Stein gefunden worden war und wo sich wie Denkmäler an die Toten der Vergangenheit die massigen, verfallenen Quader erhoben. Sie sah die Morgensonne in Farbadern eines Steins aufblitzen, sich an einer seiner Ecken in einem winzigen silbernen Funken sammeln. Sie behielt dieses winzige Licht im Auge, näherte es langsam mit dem Sonnenlicht, das sich in dem Stein in ihrer Hand fing. Sachte begann der Stein auf ihrer Handfläche zu glühen. Sie speiste das Licht in ihrem Geist; es ergoß sich über die uralten Steinquadern, versagte ihre Schatten. Sie spürte die Wärme des Lichts in ihrer Hand, in ihrem Gesicht. Der helle Schein umhüllte allmählich die Steine in ihrem Geist, breitete sich in wallenden Schleiern am klaren Himmel aus, bis es weiß glühte; sie hörte wie aus einer anderen Zeit einen leisen Ausruf von Bri Corvett. Die beiden Lichter zehrten voneinander: das Licht in ihrer Hand, das Licht in ihrem Geist. Hinter ihr regnete es Worte und Schreie, fern und ohne Bedeutung. Das Schiff schlingerte heftig, so daß sie schwankte; sie streckte den Arm aus, um sich zu fangen, und das Licht, das auf ihrem Gesicht lag, brannte ihr in den
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