Erdzauber 02 - Die Erbin von Wasser
»muß ich nie wieder in meinem Leben einen Fuß auf ein Schiff setzen. Hoffentlich sehe ich nie wieder in meinem Leben ein Gewässer, das größer ist als die Fischteiche der Morgol.«
Mit seinen Seeleuten im Gefolge kehrte Bri zurück und führte sie zu dem langen königlichen Schiff, das sachte schaukelnd im Hafen lag. Nach den Flußbooten wirkte es weiträumig und behaglich. Sein Augenmerk auf den Stand der Flut gerichtet, kläffte Bri vom Bug her zufrieden seine Befehle, während seine Leute Vorräte und Gepäck an Bord brachten und die Pferde in den Bauch des Schiffes führten. Schließlich hob sich die lange Ankerkette klirrend aus dem Wasser; das Schiff wurde losgemacht, und die prächtigen blau-violetten Segel von An blähten sich stolz im Wind.
Zehn Tage später legten sie in Hlurle an. Die Wachen der Morgol erwarteten sie am Hafen.
Lyra, die mit den fünf Wachen den Laufsteg herunterkam, blieb stehen beim Anblick der schweigenden, bewaffneten Schar am Pier.
Eine der Wachen, ein hochgewachsenes, grauäugiges Mädchen, sagte leise: »Lyra.«
Lyra schüttelte den Kopf. Sie hob ihren Speer, hielt ihn dem hochgewachsenen Mädchen in ihren offenen Händen entgegen, ruhig und ohne Drohung, wie ein Geschenk. Rendel, die ihr folgte, hörte, wie sie schlicht sagte: »Willst du meinen Speer durch Herun tragen, Trika, und ihn für mich dann der Morgol übergeben? Ich scheide aus der Wache aus, sobald ich Kronstadt erreiche.«
»Das kann ich nicht.«
Lyra sah sie schweigend an, blickte auf die reglosen Gesichter der vierzehn jungen Frauen hinter Trika.
»Warum nicht? Hat die Morgol dir andere Weisung gegeben? Was will sie von mir?«
Trika hob die Hand, berührte flüchtig den Speer und ließ ihre Hand wieder niederfallen. Die fünf Wachen hinter Lyra standen in unbewegter Reihe und hörten zu. A »Lyra!« Sie schwieg, wählte mit Bedacht ihre Worte. »Du hast zwanzig Zeugen dafür, daß du um der Ehre der Wachen willen bereit warst, unbewaffnet nach Herun zu reisen. Doch ich halte es für besser, wenn du deinen Speer noch eine Weile behältst. Die Morgol hält sich nicht in Herun auf.«
»Wo ist sie? Sie ist doch gewiß nicht noch in Caithnard?«
»Nein. Sie kehrte vor über einem Monat aus Caithnard zurück, nahm sechs von uns mit sich nach Kronstadt und befahl uns anderen, hier auf Euch zu warten. Gestern traf Feya mit der Nachricht wieder ein, daß sie - daß sie nicht mehr in Herun ist.«
»Ja, gut, aber wenn sie nicht in Herun ist, wo ist sie danrit« »Keiner weiß es. Sie ist einfach fortgegangen.«
Mit leichtem Aufschlag ließ Lyra ihren Speer zu Boden fallen. Sie hob den Kopf und suchte mit den Augen ein gertenschlankes, rothaariges Mädchen.
»Feya, was soll das heißen, sie ist fortgegangen?«
»Sie ist fortgegangen, Lyra. Am Abend nahm sie noch das Nachtmahl mit uns ein, und am nächsten Morgen war sie fort.«
»Sie muß doch jemandem Bescheid gegeben haben, wohin sie wollte. Das ist nicht ihre Art. Hat sie Bedienstete mitgenommen, Gepäck, Wachen?«
»Sie hat ihr Pferd mitgenommen.«
»Ihr Pferd? Und das ist alles?«
»Wir haben einen Tag damit zugebracht, alle zu befragen, die im Hause waren. Das ist alles, was sie mit sich nahm. Nicht einmal ein Packpferd.«
»Wie kommt es, daß niemand sie fortgehen sah? Was habt ihr alle eigentlich bewacht?«
»Aber Lyra«, bemerkte jemand ruhig, »sie kennt die Zeiten des Wachwechsels so gut wie jede von uns, und keinem käme es in den Sinn, ihr Tun und Lassen in ihrem eigenen Haus in Frage zu stellen.«
Lyra schwieg. Sie schritt den Laufsteg hinunter, gab den neugierigen Seeleuten den Weg frei, die sich nun daranmachten, das Gepäck auszuladen. Rendel, die ihr nachblickte, dachte an das ruhige, schöne Gesicht der Morgol, während sie den Hügel zur Schule hinaufgeritten war, sah die goldgefleckten Augen vor sich, die wachsam und vorsichtig geworden waren, als die Großmeister sich versammelt hatten. Eine Frage schob sich in ihre Gedanken; und Lyra stellte sie: »Hat Morgon von Hed mit ihr gesprochen?«
Feya nickte. »Er kam so heimlich, daß niemand ihn sah, außer der Morgol; und ebenso heimlich ging er wieder, nur - nur war nach seinem Fortgehen der Frieden von Herun gestört.«
»Sie hat Weisungen gegeben?«
Lyras Stimme war ruhig. Neben Rendel hockte sich Tristan plötzlich schwerfällig am Fuß des Laufstegs nieder und schlug
die Hände vor ihr Gesicht.
Feya nickte wieder. »Sie gab Weisung, daß die nördlichen und westlichen Grenzen
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