Erdzauber 03 - Harfner im Wind
die Kammer; das Licht flackerte. »Niemand war bei uns.« Dann fiel ihm der Große Schrei ein, der aus dem Nichts gekommen war, und die geheimnisvolle, reglose Gestalt, die ihn in der Nacht angesehen hatte. Ungläubig flüsterte er: »Yrth?«
Die Zauberer sahen einander an.
»Er ging aus Lungold fort«, erklärte Nun, »um Euch zu finden, um Euch Hilfe zu geben, soweit es in seiner Macht stand. Und Ihr habt ihn nie gesehen?«
»Doch, einmal - mag sein, daß ich ihn einmal gesehen habe, als ich Hilfe brauchte. Es muß Yrth gewesen sein. Er hat sich mir nie zu erkennen gegeben. Es ist möglich, daß er mich verloren hat, als wir zu fliegen begannen.« Er schwieg, während er zurückdachte. »Es gab einen Augenblick, nachdem das Pferd mich getreten hatte, als ich das Gespinst der Täuschung, mit dem ich mich umgeben hatte, kaum noch festhalten konnte. In diesem Augenblick hätten die Gestaltwandler mich töten können. Sie hätten mich töten müssen. Ich erwartete es. Doch nichts rührte mich an. Es kann sein, daß er da war, um mein Leben zu retten. Doch wenn er dort geblieben ist, nachdem ich geflohen war - «
»Zweifellos hätte er es uns wissen lassen«, meinte Nun, »wenn er Hilfe gebraucht hätte.« Sie strich sich mit schwieliger Hand sorgenvoll über die Stirn. »Aber wo mag er wohl sein? Ein alter Mann, der die Handelsstraße auf und ab wandelt und Euch sucht, genau wie der Gründer und die Gestaltwandler.«
»Er hätte sich mir zeigen sollen. Wenn er Hilfe gebraucht hätte, hätte ich für ihn kämpfen können; das ist der Grund,
weshalb ich gekommen bin.«
»Ihr hättet auch um seinetwillen Euer Leben verlieren können. Nein.« Sie schien ihre eigenen zweifelnden Fragen zu beantworten. »Er wird kommen, wann es ihm paßt. Vielleicht ist er geblieben, um den Harfner zu begraben. Yrth hat ihn einst Lieder auf der Harfe gelehrt, hier in dieser Schule.«
Sie schwieg wieder, während Morgon zusah, wie zwei verstümmelte Totengesichter an der fernen Wand näher und näher zusammenrückten. Er schloß die Augen, bevor sie miteinander verschmolzen. Aus der Ferne hörte er die Krähe schreien; eine Hand, die schmerzhaft seine Schulter packte, verhinderte, daß er stürzte. Als er die Augen öffnete, tauchte sein Blick in die funkelnden Falkenaugen, und er spürte den kalten Schweiß, der plötzlich auf seinem Gesicht lag.
»Ich bin müde«, sagte er.
»Mit Grund.« Iff ließ ihn los. Sein Gesicht war durchzogen von einem Netzwerk haarfeiner Linien. »In der Küche gibt es Wild am Spieß - das ist der einzige Raum, der noch vier Wände und ein Dach hat. Wir haben hier unten geschlafen, aber neben dem Herd sind Matratzen. Vor der Tür steht eine Wache.«
»Eine Wache?«
»Eine der Wachen der Morgol. Die Morgol hat sie uns zur Verfügung gestellt.«
»Ist die Morgol noch hier?«
»Nein. Sie widersetzte sich hartnäckig allen Argumenten, die wir vorbrachten, um sie zur Heimkehr zu bewegen, bis sie plötzlich vor etwa zwei Wochen ohne jede Erklärung nach Herun zurückkehrte.« Er hob seine Hand und holte eine Fackel aus Luft und Dunkelheit. »Kommt. Ich zeige Euch den Weg.«
Morgon folgte ihm schweigend durch zerstörte Räume eine gewundene Steintreppe hinunter zur Küche. Der Duft des Fleisches, das über dem zu Asche heruntergebrannten Feuer langsam abkühlte, gab ihm das Gefühl, als wären selbst seine Knochen hohl. Er setzte sich an dem langen, halbverkohlten Tisch nieder, während Iff ein Messer suchte und zwei angeschlagene
Becher hinstellte.
»Wir haben Wein, Brot, Käse, Früchte - die Wachen sorgen gut für uns.« Er sprach nicht gleich weiter, sondern glättete eine Feder an der Schwinge der Krähe. »Morgon«, sagte er dann leise, »ich habe keine Ahnung, was der neue Tag bringen wird. Aber wenn Ihr Euch nicht entschlossen hättet, hierherzukommen, sähen wir jetzt dem sicheren Tod ins Auge. Jener Funke blinder Hoffnung, der uns über sieben Jahrhunderte am Leben hielt, muß von Euch genährt worden sein. Ihr mögt Angst haben zu hoffen, ich nicht.« Seine Hand berührte flüchtig Morgons vernarbte Wange. »Dank Euch, daß Ihr gekommen seid.« Er richtete sich auf. »Ich lasse Euch jetzt hier allein; wir arbeiten die Nächte durch und schlafen selten. Wenn Ihr uns braucht, dann ruft.«
Er warf seine Fackel in die Feuerstelle und ging. Morgon starrte auf die Tischplatte hinunter, auf den reglosen Schatten der Krähe, der auf dem Holz lag. Schließlich hob er den Kopf und sagte ihren Namen.
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