Erdzauber 03 - Harfner im Wind
hineingeschleudert. Er hob den Kopf und blickte auf den Berg. Eine seiner Flanken war völlig eingefallen; Bäume waren entwur-zelt, im gewaltsamen Aufbäumen von Stein und Erde zersplit-tert worden. Den ganzen Paß hinunter, so weit sein Auge reichte, wütete der Wind, drückte die Bäume wie Grashalme nieder.
Er versuchte aufzustehen, aber er hatte keine Kraft mehr. Der Wind schien ihn aus seiner eigenen Gestalt reißen zu wollen. Er streckte den Arm aus; seine Hand schloß sich um riesige Wurzeln. Während der Baum unter seiner Hand erzitterte, spürte er den Quell seiner unerschütterlichen Kraft.
Er hielt sich an ihm fest, während er sich mühsam an ihm hochzog. Dann trat er von ihm weg und hob die Arme, als wollte er den Wind umschlingen.
Äste wuchsen aus seinen Händen und aus seinem Haar. Seine Gedanken verwirrten sich wie Wurzeln in der Erde. Er reckte sich aufwärts. Harztropfen rannen wie Tränen seine Rinde hinunter. Sein Name bildete sein Herz; Ring um Ring baute sich Stille um ihn auf. Sein Gesicht stieg hoch über die Wälder; in der Erde verwurzelt, dem Toben des Windes hinge-geben, verschwand er in sich selbst, hinter dem harten, windgehämmerten Schild seiner Erfahrungen.
Kap. 10
An einem regnerischen, windigen Herbsttag schrumpfte er wieder in seine eigene Gestalt zurück. Er stand im kalten Wind und zwinkerte sich die Regentropfen aus den Augen, während er sich einer langen, sprachlosen Zeitspanne zu erinnern versuchte. Die Öse, grau wie eine Messerklinge, rann kalt an ihm vorüber; die Felsnadeln des Passes waren halb verborgen unter schweren Wolken. Die Bäume um ihn herum ruhten tief in der Erde, in ihr eigenes Wesen versunken. Sie zogen an ihm. Sein Geist glitt durch ihre zähe, feuchte Rinde, zurück in einen beschaulichen Frieden, der von Baumringen eingeschlossen war. Doch ein Wind wehte zitternd durch seine Erinnerungen, erschütterte einen Berg, schleuderte ihn ins Wasser zurück, zurück in den Regen. Nur widerwillig löste er die Bindung mit der Erde und wandte sich zum Erlenstern-Berg, Er sah die riesige Narbe in seiner Flanke unter einem Dunstschleier. Das dunkle Wasser ergoß sich noch immer aus ihr, um sich mit der Öse zu vereinigen.
Lange blickte er auf den Berg, während er die Fetzen eines finsteren, beängstigenden Traumes zusammensetzte. Seine Bedeutung weckte ihn vollends; er begann im peitschenden Regen zu frösteln. Mit seinem Geist witterte er in den Nachmittag hinein. Er fand niemanden - weder Fallensteller noch Zauberer, noch Gestaltwandler - auf dem Paß. Eine vom Wind geschüttelte Krähe segelte an ihm vorüber; begierig haschte er nach ihrem Geist. Doch sie kannte seine Sprache nicht. Er gab sie wieder frei. Die wilden Winde tosten hohltönend durch die Wipfel; die Bäume um ihn herum ächzten. Sie rochen nach Winter. Nach einer langen Zeit wandte er sich ab und schickte sich an, den Kopf gegen den Wind zwischen die Schultern gezogen, dem Lauf der Öse zurück in die Welt zu folgen.
Doch schon nach ein paar Schritten stand er still und starrte sinnend ins Wasser, das sich schäumend nach Isig und Osterland und zu den nördlichen Handelshäfen des Reiches wälzte. Seine eigenen mächtigen Kräfte fesselten ihn. Nirgendwo im
Reich gab es einen Platz für einen Menschen, der die Gesetze des Landrechts löste und die Gestalt des Windes annahm. Aus dem Fluß kam das Echo der Stimmen, die er gehört hatte, die in Zungen sprachen, die nicht einmal die Zauberer verstehen konnten. Er dachte an das dunkle, leere Gesicht des Windes, das der Erhabene war, der sich weigerte, ihm mehr zu geben als gerade sein Leben.
»Und wozu das?« flüsterte er.
Er wollte die Worte plötzlich schreiend gegen das ausdruckslose Gesicht des Erlenstern-Berges schleudern. Der Wind würde seinen Schrei einfach verschlucken. Er ging noch einen Schritt am Fluß hinunter gen Harte, wo er bei Danan Isig Zuflucht und Wärme finden würde. Doch der König konnte ihm keine Antworten geben. Die Vergangenheit hielt ihn gefangen; er war ein Spielball fremder Mächte, die einen uralten Krieg ausfochten, der nie geendet hatte. Und langsam begann er diesen Krieg zu begreifen. Das unbestimmte Verlangen, das sich in ihm rührte, seine eigenen befremdlichen, unberechenbaren Kräfte zu erproben, machten ihm Angst. Lange stand er am Ufer des Flusses, bis die Nebel über den Berggipfeln sich verdunkelten und Schatten die Felshänge des Erlenstern-Bergs überzogen.
Da erst wandte er sich ab, wanderte
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