Erebos
Bild. Im Hintergrund sah man einen zerfallenden Turm inmitten einer verbrannten Landschaft. Vor dem Turm steckte ein Schwert in der nackten Erde, an dessen Griff ein rotes Tuch gebunden war. Es flatterte im Wind, wie eine letzte Erinnerung an das Leben in einer toten Welt. Darüber, auch ganz in Rot, bog sich der Schriftzug ›Erebos‹.
In Nicks Magen kribbelte es. Er drehte die Lautstärke höher, doch da war keine Musik, nur ein tiefes Grollen wie von einem nahenden Unwetter.
Nick ließ den Mauszeiger über dem Install-Button schweben, mit dem unbestimmten Gefühl, noch etwas vergessen zu haben … natürlich, den Virenscan. Mit zwei verschiedenen Programmen checkte er die Dateien auf der DVD und seufzte erleichtert, als beide Entwarnung gaben. Also los.
Quälend langsam ruckte die blaue Installationsleiste vorwärts. In winzigen, winzigen Sprüngen. Mehrmals schien es, als wäre der Computer abgestürzt, nichts rührte sich. Probehalber schob Nick die Maus hin und her – immerhin: Der Mauszeiger bewegte sich. Allerdings auch langsam und ruckelnd. Ungeduldig rutschte Nick auf seinem Stuhl herum. Fünfundzwanzig Prozent, das durfte doch nicht wahr sein! Da konnte er genauso gut in die Küche gehen und sich etwas zu trinken holen.
Als er Minuten später zurückkam, waren es einunddreißig Prozent. Fluchend ließ er sich auf seinen Stuhl fallen und rieb sich die Augen. Was für ein Mist.
Eine gefühlte Stunde später waren die hundert Prozent erreicht. Nick jubelte bereits innerlich, da wurde der Bildschirm schwarz. Blieb schwarz.
Nichts half. Kein Klopfen gegen das Gehäuse, keine Tastenkombination, kein Wutausbruch. Der Bildschirm zeigte nichts als unerbittliche Dunkelheit.
Kurz bevor Nick aufgeben und die Reset-Taste drücken wollte, passierte doch noch etwas. Rote Buchstaben schälten sich aus dem Dunkeln, Worte, die pulsierten, als würde ein verborgenes Herz sie mit Blut und Leben versorgen.
»Tritt ein.
Oder kehr um.
Dies ist Erebos.«
Na endlich! Voll prickelnder Vorfreude wählte Nick ›Tritt ein‹.
Zur Abwechslung wurde der Bildschirm wieder mal schwarz, mehrere Sekunden lang. Nick lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Hoffentlich blieb dieses Spiel nicht so langsam. An seinem Computer konnte es nicht liegen, der war so gut wie auf dem neuesten Stand, Prozessor und Grafikkarte waren blitzschnell und alles, was er an Spielen hatte, lief reibungslos.
Allmählich hellte der Bildschirm sich auf und gab den Blick frei auf eine sehr realistisch wirkende Waldlichtung, über der der Mond stand. In ihrer Mitte hockte eine Figur mit zerrissenem Hemd und fadenscheiniger Hose. Ohne Waffe, nur mit einem Stock in der Hand. Das sollte vermutlich seine Spielfigur sein. Probehalber klickte Nick rechts neben sie, woraufhin sie aufsprang und sich exakt an die gewählte Stelle bewegte. Okay, die Steuerung war idiotensicher und den Rest würde er ebenfalls in Kürze kapiert haben. Schließlich war das nicht sein erstes Spiel.
Also los. Nur – in welche Richtung? Es gab keinen Weg oder Hinweis. Vielleicht eine Karte? Vergeblich versuchte Nick ein Inventar oder ein Spielmenü aufzurufen, aber da war nichts. Keine Hinweise auf Quests oder Ziele, keine anderen Figuren in Sichtweite. Nur ein roter Balken für die Lebensanzeige und darunter ein blauer – vermutlich zeigte er die Ausdauer an. Nick versuchte verschiedene Tastenkombinationen, die in anderen Spielen zum Erfolg geführt hatten, doch hier bewirkten sie nichts.
Wahrscheinlich strotzt das Ding nur so von Programmierfehlern, dachte er missmutig. Probeweise klickte er direkt auf seine schäbig ausgerüstete Figur. Der Schriftzug ›Namenloser‹ erschien über ihrem Kopf.
»Auch gut«, murmelte Nick. »Der geheimnisvolle Namenlose.« Er ließ seinen zerlumpten Charakter erst ein Stück geradeaus laufen, dann nach links, schließlich nach rechts. Alle Richtungen schienen falsch zu sein und es tauchte niemand auf, den man fragen konnte.
›Es ist wahnsinnig cool, ehrlich‹, äffte er in Gedanken Brynnes Stimme nach. Andererseits … Colin schien von dem Spiel ebenfalls angetan. Und Colin war kein Idiot.
Nick beschloss, seinen Spielcharakter geradeaus laufen zu lassen. Das Gleiche, dachte er, würde er selbst tun, wenn er sich verirrt hätte. Eine Richtung beibehalten. Auf irgendetwas würde er stoßen und jeder Wald hatte ein Ende.
Er konzentrierte sich auf seinen Namenlosen, der Bäumen geschickt auswich und störendes Geäst mit seinem Stock zur Seite
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