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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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schlug. Jeder Schritt der Spielfigur war deutlich zu hören, das Unterholz knackte, welke Blätter raschelten. Als die Figur über einen Felsen kletterte, lösten sich kleine Steinchen und kullerten hinunter.
    Hinter dem Felsen wurde der Boden feuchter. Der Namenlose kam nicht mehr so schnell voran, da seine Füße immer wieder bis zum Knöchel einsanken. Nick war beeindruckt. Das alles war ungemein realistisch, nicht einmal das schmatzende Geräusch, das beim Waten im Schlamm entstand, fehlte.
    Der Namenlose kämpfte sich weiter, begann zu keuchen. Der blaue Balken war auf ein Drittel seiner Länge geschrumpft. Beim nächsten Felsen gönnte Nick der Figur eine Pause. Sein Spielcharakter stützte die Hände auf die Oberschenkel und senkte den Kopf – offenbar bemüht, wieder zu Atem zu kommen.
    Irgendwo hier musste ein Bach sein. Nick hörte es rauschen und beendete die Rast. Er schickte den Namenlosen ein Stück nach rechts, wo er tatsächlich einen kleinen Wasserlauf entdeckte. Immer noch keuchend blieb sein Spielcharakter davor stehen.
    »Na komm, trink schon«, sagte Nick. Er drückte die Abwärts-Pfeiltaste auf seinem Keyboard und war entzückt, als der Namenlose sich tatsächlich bückte, mit der hohlen Hand Wasser aus dem Bach schöpfte und trank.
    Danach ging es schneller voran. Der Boden verlor seine Feuchtigkeit und auch die Bäume standen nicht mehr so dicht. Doch immer noch fehlte jeglicher Orientierungspunkt und langsam befürchtete Nick, dass seine Immer-geradeaus-Taktik ein Schuss in den Ofen war. Wenn er nur einen besseren Überblick hätte, eine Karte vielleicht, oder …
    Überblick! Nick grinste. Mal sehen, vielleicht konnte sich sein virtuelles Ich nicht nur bücken, sondern auch klettern! Er wählte einen mächtigen Baum mit tief liegenden Ästen aus, stellte die Figur davor und drückte die Aufwärts-Pfeiltaste.
    Sorgsam legte der Namenlose seinen Stock beiseite und zog sich an den Ästen hoch. Er hielt inne, sobald Nick die Pfeiltaste losließ, und kletterte weiter, wenn sie erneut gedrückt wurde. Nick schickte ihn so hoch hinauf wie möglich, bis die Äste zu schwach wurden und die Figur beinahe abgerutscht wäre. Erst als sie einen sicheren Stand hatte, wagte Nick einen Rundumblick. Die Aussicht war fantastisch.
    Der Vollmond stand hoch am Himmel und warf sein Licht auf ein grün-silbernes, endlos scheinendes Meer aus Bäumen. Zur Linken waren die Ausläufer einer Bergkette erkennbar, zur Rechten setzte sich die Ebene fort. Geradeaus verlief die Landschaft hügelig. Nadelstichkleine Punkte an einigen Hügeln verrieten Siedlungen.
    Eben, dachte Nick triumphierend. Der Weg geradeaus ist der richtige.
    Er hatte seinen Finger bereits über der Abwärts-Pfeiltaste, als ihm ein warmgelber Lichtschein zwischen den Bäumen auffiel, ganz nah. Das sah verheißungsvoll aus. Wenn er seinen Weg ein kleines Stück nach links korrigierte, müsste er in wenigen Minuten auf die Lichtquelle stoßen. Ein Haus vielleicht? Voller Ungeduld holte er seine Figur zurück zum Boden, wo sie ihren Stock wieder an sich nahm und weiterlief. Nick kaute an seiner Unterlippe und hoffte, dass er sich die Richtung korrekt eingeprägt hatte.
    Nicht lange und er meinte, die ersten schwachen Ausläufer des Lichtscheins zwischen den Baumstämmen erkennen zu können. Praktisch im gleichen Moment stieß er auf ein Hindernis: eine Erdspalte, die viel zu breit war, als dass der Spielcharakter sie überspringen konnte. Verdammt! Der Spalt zog sich weit nach beiden Seiten hin und verlor sich irgendwo in der Dunkelheit zwischen den Bäumen. Ihn zu umrunden, würde den Namenlosen viel Zeit und möglicherweise die Orientierung kosten.
    Den umgestürzten Baum entdeckte Nick erst, nachdem er einige Zeit mit Fluchen verbracht hatte. Wenn man den in die richtige Position bringen könnte …
    Die Space-Taste war der Schlüssel zum Erfolg. Nicks Spielcharakter zerrte, zog und schob den Stamm in jede Richtung, die ihm der Mauszeiger vorgab. Als der Baum quer über dem Erdriss lag, keuchte der Namenlose und die rote Lebensanzeige war wieder ein wenig kürzer geworden.
    Mit aller gebotenen Vorsicht ließ Nick seinen Bildschirmhelden über den Stamm balancieren, der sich als sehr unsichere Brücke erwies, denn er rollte beim fünften Schritt ein wenig nach rechts, und Nick konnte seine Figur nur durch einen gewagten Sprung in Sicherheit bringen.
    Der Lichtschein war jetzt stärker als zuvor – und er flackerte. Direkt vor Nick lag eine winzige

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