verschwinden.
»Vielleicht ist Colin auch in die süße Emily Carver verschossen«, mutmaßte Jamie munter weiter. »An der beißt er sich die Zähne aus, da wäre seine Laune kein Wunder. Oder aber in unser aller Liebling: Helen!« Jamie klapste dem fülligen Mädchen, das sich eben an ihm vorbei in die Klasse zwängen wollte, kräftig aufs Hinterteil.
Helen fuhr herum und versetzte ihm einen Stoß, der ihn über den halben Korridor beförderte. »Finger weg, Arschloch«, zischte sie.
Nach der ersten Schrecksekunde hatte Jamie sich schnell wieder im Griff. »Aber ja. Obwohl es mir bei deinem Anblick echt schwerfällt. Ich stehe wie verrückt auf Pickel und Fettschwarten!«
»Lass sie in Ruhe«, sagte Nick. Jamie sah verblüfft aus.
»Was ist denn mit dir los? Bist du seit Neuestem bei Greenpeace? Rettet die Walrosse und so?«
Nick antwortete nicht. Jamies Witze auf Helens Kosten hinterließen bei ihm immer das Gefühl, jemand schösse mit Feuerwerkskörpern auf Benzinkanister.
Im Fernsehen liefen die Simpsons. Nick saß in seiner Jogginghose auf der Couch und löffelte lauwarme Ravioli aus der Dose. Mum war noch nicht da. Sie musste es eilig gehabt und wieder mal schlampig gepackt haben, denn die Hälfte ihrer »Werkzeugkiste« lag verstreut auf dem Wohnzimmerboden. Nick war beim Reinkommen auf einen Lockenwickler getreten und hätte sich fast der Länge nach hingelegt. Chaos-Mum.
Dad schnarchte im Schlafzimmer und hatte das »Bitte nicht stören – schlafe auf Vorrat« -Schild an die Tür gehängt.
Die Raviolidose war leer und Homer fuhr eben sein Auto gegen einen Baum. Nick gähnte. Die Folge kannte er schon, außerdem musste er sowieso gleich zum Basketballtraining. Ohne große Begeisterung packte er seine Sachen zusammen. Vielleicht tauchte wenigstens Colin heute auf, nachdem er schon das letzte Training verpasst hatte. Ihn anzurufen und zu erinnern, konnte jedenfalls nicht schaden. Nick versuchte es dreimal, doch es meldete sich nur die Mailbox und die hörte Colin bekanntermaßen nur alle Schaltjahre ab.
»Wer das Spiel nicht ernst nimmt, hat in der Mannschaft nichts zu suchen!« Betthanys Gebrüll füllte mühelos die Sporthalle. Die Mitglieder des deutlich dezimierten Teams starrten betreten auf ihre Schuhe. Betthany schrie die Falschen an, immerhin waren sie zum Training erschienen. Aber sie waren acht statt siebzehn. Mit acht Spielern konnte man keine zwei Mannschaften bilden, an Spielerwechsel brauchte man nicht einmal zu denken. Colin war natürlich nicht gekommen, aber auch Jerome fehlte. Merkwürdig.
»Was ist los mit diesen Versagern? Sind die alle krank? Grassiert in der Gegend gerade die akute Hirnerweichung?« Bald würde Betthany heiser sein, hoffte Nick.
»Wenn der jetzt immer so mies drauf ist, bleibe ich das nächste Mal auch zu Hause«, murmelte er und durfte zur Belohnung fünfundzwanzig Liegestütze machen.
Auf dem Weg nach Hause rief Nick noch zweimal bei Colin an, ohne Erfolg. Verdammt.
Warum war er eigentlich so unruhig? Nur weil Colin sich bescheuert benahm? Nein, befand er nach kurzem Nachdenken. Bescheuert wäre okay gewesen. Aber wie es aussah, hatte Colin Nick von einem Tag auf den anderen völlig aus seinem Leben gestrichen. Da musste er ihm zumindest erklären, warum.
Zu Hause angelangt, lief er in sein Zimmer und warf sich in den wackeligen Drehstuhl vor dem Schreibtisch. Er fuhr den Computer hoch und öffnete sein Mailprogramm.
Von: Nick Dunmore ‹
[email protected]›
An: Colin Harris ‹
[email protected] ›
Betreff: Alles okay bei dir?
He, Alter! Bist du krank oder was stimmt nicht? Hab ich dich beleidigt oder so? Wenn ja, war es keine Absicht.
Und sag mal, was ist das zwischen dir und Dan? Der Typ ist echt seltsam, da waren wir uns doch einig …
Bist du morgen wieder in der Schule? Wenn es Probleme gibt, lass uns darüber reden.
CU
Nick
Er klickte auf senden, dann öffnete er seinen Browser und ging in den Chat des Basketballvereins. Aber niemand war da, also surfte er hinüber zu deviantart. Zu Emily. Er sah nach, ob sie einen neuen Manga oder ein Gedicht auf die Website gestellt hatte. Sie war unglaublich begabt.
Heute fand er zwei neue Skizzen, die er auf seiner Festplatte speicherte, und einen kurzen Blogeintrag. Vor dem Lesen zögerte er. Er musste jedes Mal eine unsichtbare Schranke überwinden, denn er wusste, das hier war nicht für ihn bestimmt. Emily hatte sich bemüht, anonym zu bleiben, aber sie hatte