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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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von 100 Münchner Studenten 19, von 100 Münchner Offizieren 2, von 100 Hamburger Arbeitern 52, von 100 eingeschriebenen Berliner Huren 5.
    Geborene Idioten und Kretins gab es in Deutschland 36 461, davon in Bayern 11 209. Die Ausgaben des Deutschen Reichs für Heereswesen betrugen 338 Millionen Goldmark, für Literatur 3 000 Mark, für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 189 000 Mark.
    Die Gerechtigkeitspflege im Deutschland jener Jahre hatte zum praktischen Leben wenig Beziehungen, gar keine zurWeltanschauung der Epoche. Sie basierte teils auf den Rechtsnormen, die vierzehnhundert Jahre früher, in dem Kodex der Römer, teils auf den moralischen Anschauungen, die zwei Jahrtausende früher in den kanonischen Büchern der Juden niedergelegt waren. Abgesehen von den Reichsgesetzen waren noch 257 432 Polizeiverordnungen in Geltung, stammend zum Teil aus dem sechzehnten Jahrhundert, deren Unkenntnis jeden auf deutschem Boden Befindlichen mit Strafe bedrohte.
    Es amtierten in jenem Jahr im Deutschen Reich 9 361 Richter, in Bayern 1 427. Verurteilt wurden im Reich wegen Verletzung der Eidespflicht 1 251 Personen, wegen Unzucht 3 439, wegen gefährlicher Körperverletzung 24 971, wegen Abtreibung 3 677. Die prozentuale Beteiligung Bayerns an Roheitsverbrechen war die stärkste unter den deutschen Ländern. Was den Strafvollzug anlangt, so sorgte man mehr für die Seelen der Verurteilten als für ihre Leiber. An den 1 732 Strafanstalten des deutschen Reichs waren Priester in größerer Anzahl tätig als Ärzte; hauptamtlich angestellt waren 125 Geistliche, 36 Ärzte.
    Alle Länder der Blaßfarbigen, am sorgfältigsten die Vereinigten Staaten Nordamerikas, führten Statistiken über diese und alle möglichen anderen Dinge und legten die Ergebnisse in umfänglichen Jahrbüchern nieder, ohne indes daraus praktische Folgerungen zu ziehen.
    Solcher Art waren die weißhäutigen Menschen, die der Planet in jenen Jahren durch den Raum drehte und die zwei Fünftel seiner menschlichen Gesamtbevölkerung bildeten.
15
Der Komiker Hierl und sein Volk
    Der große Minervasaal, ein volkstümliches Varieté in der Nähe des Hauptbahnhofs, war dicht gefüllt; denn der Komiker Balthasar Hierl, der heute nach längerer Pause zum erstenmalwieder auftrat, war populär. Die Zuhörer waren zumeist Kleinbürger, Leute aus dem Mittelstand, Dreiviertel-Liter-Rentner, Drei-Quartl-Privatiers wurden sie genannt, weil ihr Vermögen zu einem ganzen Liter Bier nicht reichte. Sie saßen in dem harten Licht des nüchternen, mit patriotischen und mythologischen Fresken geschmückten Saales, rauchten Zigarren oder Pfeife, hörten in den Pausen einem großen Blechorchester zu. Während der Vorträge aßen sie. Der eine Abend mußte sie entschädigen für die Entbehrungen der ganzen Woche. Also aßen sie. Würste von vielerlei Art: weiße, hautlose; saftige, prall in der Haut steckende; braunrote, dünne, dicke. Wohl auch Kalbsbraten, kunstlos zubereitet. Nierenbraten, Gratbraten mit Kartoffelsalat. Gewaltige Knödel, bereitet aus Mehl und Leberfleisch. Mächtige, gesottene Kalbsfüße. Salzbrezeln. Rettiche. Von den Frauen tranken viele Kaffee, tunkten Nudeln hinein: Rohrnudeln, hoch, gebuchtet, den Rand gebläht, Dampfnudeln, Kirchweihnudeln, dick, schmalztriefend, Krapfen, fett- und zuckerschwitzend. Serviert das alles auf Geschirr aus den Süddeutschen Keramiken Ludwig Hessreiter & Sohn, zumeist mit dem beliebten, sehr blauen Enzian- und Edelweißmuster. Der Saal war voll von Rauch, gleichmäßigem, langsamen Geräusch, Dunst von Bier, Schweiß, Menschen. Alte Bürger saßen behaglich, Liebespaare hockten breit, selig. Höhere Beamte, andere Großkopfige waren zahlreich in die Masse der Kleinbürger hineingesprengt. Denn der Komiker Balthasar Hierl beschränkte sich eigensinnig auf volkstümliche Vergnügungsstätten.
    Johanna Krain, mit Hessreiter und dem Anwalt Dr. Geyer an einem der mit roten, gewürfelten Decken verkleideten runden Tische, fühlte sich wohl. Garmisch war nicht die schlechteste Zeit gewesen, wahrscheinlich auch ihrer Sache ersprießlich. Aber es war gut jetzt, hier zu sitzen, ein derb zubereitetes Schnitzel vor sich, beengt von drei umfangreichen, schwatzenden, rauchenden, sich nährenden Bürgern, bevor man morgen früh nach dem Zuchthaus Odelsbergfuhr, um von Nachmittag um drei an für die Zukunft Frau Johanna Krüger zu heißen.
    Es war nicht Schadenfreude gewesen, auch Erleichterung nicht, als sie von dem gemeinen Ende des

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