Erfolg
Chauffeurs Ratzenberger in der Zeitung gelesen hatte. Eher hatte sie es als eine Mahnung aufgefaßt. Ihr Aufenthalt in Garmisch, selbst wenn er die Sache Martin Krügers gefördert haben sollte, der leere Betrieb des Winterkurorts, die wichtige Sportlerei, die Bedeutsamkeit, die man der Kleidung beilegte, die Hotels, die »Puderdose«, Herr Hessreiter, der junge, windige Erich Bornhaak, all das hatte sie mit zunehmender, nervöser Langeweile erfüllt. Sie hatte, nachdem sie den Bericht von dem Tod ihres Gegenzeugen Ratzenberger gelesen hatte, die Vorbereitungen zur Heirat mit dem Manne Krüger doppelt heftig betrieben, war schleunigst aufgebrochen, zur großen Verwunderung der Tante Ametsrieder. Paul Hessreiter, trotz ihres Widerstrebens, hatte es sich nicht nehmen lassen, sie zu begleiten. Jetzt saß sie hier, den Komiker Hierl zu hören. Den Abend unabgelenkt zu verwarten wäre zu öde gewesen. Morgen wird sie Martin Krüger heiraten.
Sie hatte in den zwei Tagen, die sie in München war, die Nachricht bekommen, das Verfahren gegen sie wegen Gaukelei sei eingestellt. Die Behörden hatten die Sache wohl nie sehr ernst genommen; allein Johanna schien dieser Rückzug der Obrigkeit von Bedeutung. Der Fall Krüger sah hier anders aus als in der fröhlichen Luft von Garmisch. Er war hier nicht mehr eine politisch spielerische Angelegenheit, noch weniger eine sportliche ihres Eigensinns. Vielmehr war da etwas wie eine Forderung, ein Druck, der auch im freisten Moment nicht ganz nachließ, etwas, das nagte und zwickte. Es war schade, daß Jacques Tüverlin nicht da war, heute wäre ihr seine scharfe, dünne Art recht gewesen.
Sie beschaute sich die Köpfe ringsum, dumpfe, gelassene Köpfe. Gutmütig im Grund. Man sollte meinen, man könnte ohne Mühe den unschuldigen Krüger von ihnen herauskriegen. Aber sie wußte besser um diese Menschen, sie war jaeines Stammes mit ihnen. Sie wußte, wie halsstarrig sie sein konnten; unversehens waren sie gereizt, niemand erkannte recht, wieso, und dann war gegen ihre trübe, viehische Querköpfigkeit nichts auszurichten.
Auf der Bühne erschien der Komiker Balthasar Hierl. Ein verschlissener Samtvorhang war da, rot und gold, überladen und sehr dreckig. Vor diesem Vorhang saßen einige Orchestermusiker, unter ihnen lang, dürr, traurig der Komiker. Auf billige Art geschminkt, die Gurkennase kläglich weiß, zwei feuerrote Clownflecken auf den Backen, klebte er wie eine Fliege auf einem armseligen Stuhl; die hageren Waden, aus viel zu weiten Stiefeln herausstelzend, hatte er kunstvoll um die Stuhlbeine gewickelt. Es galt eine Orchesterprobe. Der Komiker Hierl spielte zunächst Geige, aber da der Kollege an der Pauke fehlte, hat er es übernommen, auch dessen Part zu vertreten. Das war schwierig. Das ganze Leben war schwierig. Es kamen einem harmlosen, friedfertigen Menschen überall Tücken dazwischen, hundsgemeine Ablenkungen, mit denen man sich herumschlagen mußte. Da rutschte zum Beispiel dem Kapellmeister die Krawatte, darauf mußte man ihn doch aufmerksam machen. Das war schwierig so mitten im Spielen. Man konnte zwar schnell und eifrig mit dem Geigenbogen auf die Krawatte deuten, doch das verstand der Kapellmeister nicht. Man mußte also aussetzen. Da kam das ganze Orchester in Unordnung; man mußte von vorn anfangen. Da rutschte wieder die Krawatte. Überhaupt war es hoffnungslos, sich zu verständigen. Alle einfachsten Dinge gerieten sogleich ins Problematische. Das Sprachliche reichte nicht. Dazu sollte man zwei Instrumente spielen. Die Hände reichten nicht, die Füße reichten nicht, die Zunge reichte nicht. Es war eine schwierige Welt. Man konnte nur traurig und beschäftigt darin sitzen und wohl auch etwas eigensinnig und verstockt. Denn man hatte seine eigenen, richtigen Gedanken. Aber die andern begriffen sie nicht oder wollten nicht darauf eingehen. Zum Beispiel hat man an einen Radfahrer gedacht, und richtig saust da ein Radfahrer daher. Das wardoch merkwürdig. Aber die andern wollten es nicht als merkwürdig gelten lassen. Ja, behaupteten sie, ja, mein Lieber, wenn man beispielsweise an ein Flugzeug gedacht hätte und es wäre just ein Flugzeug dahergekommen, das wäre schon eher merkwürdig gewesen. Es war aber doch, Herrschaftseiten!, kein Flugzeug gewesen, sondern ein Radfahrer. Dazu die Instrumente, die Pauke, die immer, wenn man gerade mit der Geige beschäftigt war, bedient sein wollte, der Mann auf der Bühne, der immer hämmern mußte und den man nicht ohne
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