Erfolg
in einen Vers hinein, sagte der Violette, ohne sich zu rühren, leise, doch sehr hell und vornehmlich: »Etwas weniger Licht, bitte!« Der Ingenieur Pröckl brach sofort ab, blieb reglos sitzen, sagte: »Läuten Sie doch Ihrem Zimmermädchen.« Herr von Reindl sagte: »Danke.« Nach einem kleinen Schweigen fragte Kaspar Pröckl: »Werden Sie nun meinen Serienwagen herstellen?« – »Ich glaube nicht«, sagte Herr von Reindl freundlich, sich halb aufrichtend, den Ingenieur Pröckl mit einem kleinen Lächeln beschauend. »Ich bitte um meine Entlassung«, sagte Kaspar Pröckl. »Sie sind entlassen«, sagte der Fünfte Evangelist. »Aber Sie haben Ihren Tee gar nicht angerührt«, fuhr er vorwurfsvoll fort; »ich hoffe, Sie werden mit mir zu Abend essen.« – »Ich glaube nicht«, erwiderte Kaspar Pröckl. Er stellte das Saiteninstrument sehr behutsam in eine Ecke. »Wo ist meine Jacke?« fragte er. Herr von Reindl läutete. Die Jacke des Herrn sei in der Garderobe, wurde mitgeteilt. Herr von Reindl stand auf, ging mit seinem krampfig lebhaften Schritt an einen Schrank, entnahm ihm einen Lederband in sehr großem Format. Es war eine Luxusausgabe der Sonette Shakespeares. »Darf ich Ihnen das geben?« fragte er den Ingenieur. Kaspar Pröckl nahm das große Buch ohne weiteres, achtlos. »Ist nicht ein Privatdruck Ihrer Balladen erschienen?« fragte Herr von Reindl. »Ja«, antwortete Pröckl, »in zwanzig Exemplaren.« – »Kann ich ein Exemplar haben?« fragte Herr von Reindl. »Ich biete Ihnen hundert englische Pfund«, sagte er. Es waren aber an jenem Tage hundert englische Pfund gleich 107 068 Mark. Es kostete in München ein Laib Brot acht Mark, ein Pfund Kakao vierundzwanzig Mark, eine schöne Lodenjoppe dreihundertfünfzig Mark, ein Anzug für einen Mann aus dem Volk dreihundertfünfundsiebzig bis siebenhundertfünfundzwanzig Mark; Frauenmäntel waren von hundertneunzig Mark an zu haben. Für hundert englische Pfund konnte man ein Haus kaufen. Der violette Mann auf dem Diwan lag reglos, schauteden Ingenieur aus seinen braunen, undeutlichen Augen an, wartete auf Antwort. Allein Kaspar Pröckl erwiderte nichts.
Verärgert, nachdem er den Reindl verlassen hatte, saß er in der Halle. Er wäre am liebsten noch in der Nacht zurückgefahren; aber die Straßen begannen auf eine für den Wagen unangenehme Art zu vereisen. So mußte er, da er nur ganz wenig Geld hatte, in dem scheißfeinen Palace-Hotel bleiben, weil dort Herr von Reindl seine Rechnung beglich. Er war ein Mordsrindvieh, daß er seine Entlassung genommen hatte. Die Anni, seine Freundin, wird sich niedersetzen über eine solche Eselei. Den Wagen wird er auch an die Fabrik zurückgeben müssen, wenn er geht. Wenigstens die hundert Pfund hätte er nehmen sollen. Er wird doch dem Reindl den Privatdruck der Balladen schicken und einfach statt der hundert Pfund den Wagen behalten. Er ärgerte sich über die halbnackten Frauen, die durch die Halle gingen und den Lebensunterhalt ganzer Familien um ihren dummen Leib herumhängen hatten. Unwirsch, aus seinen tiefliegenden Augen sah er auf die Männer in der vorgeschriebenen schwarzen Abendtracht der herrschenden Schicht, die Hals und Brust aus den weißgestärkten, unpraktischen, ungesunden Hemden und Kragen reckten. Er dachte daran, Johanna Krain aufzusuchen. Allein er sah sie von fern, von ihr ungesehen, wie sie am Arm so eines schwarz und weißen Kerls durch die Halle ging, auch sie in großbürgerlichem Abendkleid, gepudert, und er gab es auf, mit ihr zu sprechen.
Er aß in einem für die Einheimischen bestimmten, kleinen, kneipenartigen Nebenraum, der sogenannten »Schwemme«, und hatte dort ein wüstes Gezänk, weil man ihm nicht glauben wollte, daß der Baron Reindl für ihn zahle. Dadurch etwas besser gelaunt, ging er in ein Café, setzte sich hin, rauchte stark. Las Zeitungen. Verlangte die »Rote Fahne«, ein scharf oppositionelles Berliner Journal. Zu seiner Überraschung war die »Rote Fahne« vorhanden. Aber sie wurde, wie ihm der Kellner erklärte, gerade gelesen, von dem Herrn dort drüben in der Ecke. Kaspar Pröckl sah, daß der Herr in der Ecke eineandere Zeitung las, aber einen Haufen von Zeitungen um sich gestapelt hatte. Er ging hin, fragte, ob die »Rote Fahne« frei sei. »Nein«, erwiderte der Herr mit einer hohen, gequetschten Stimme. »Wann wird sie frei?« fragte Kaspar Pröckl. Der Herr schaute ihn an aus blinzelnden Augen, sagte vergnügt: »Vielleicht in einer Stunde, vielleicht in
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