Erfolg
Der Schnee und die elektrischen Bogenlampen gaben ein unangenehmes Licht. Aus den Cafés, den Hotels kam die Jazzmusik der Tanztees. Das Empfangspersonal, die Boys, als er im Palace-Hotel nach dem Baron Reindl fragte, beäugten den verdächtigenKerl in der zerrissenen, verschwitzten Lederjacke mit Spott und Neugier.
Aber schau an! Der Baron Reindl war zu Hause und empfing sogleich. Er habe da in Garmisch Konferenzen mit einigen amerikanischen und französischen Herren, erklärte er vertraulich, geradezu freundschaftlich seinem jungen Ingenieur. Es seien jetzt doch gewisse Chancen da, daß er Pröckls Serienwagen werde herstellen können. Er ging, der Fünfte Evangelist, herum, unförmig, in einem üppigen, violetten Schlafrock, auf absatzlosen, dünnen Lederschuhen. Riesig, mit den gewölbten, braunen Augen, saß der strahlend schwarzhaarige Kopf über der violetten Masse. Es war sehr warm im Zimmer. Herr von Reindl bat den Pröckl, die Lederjacke abzulegen. Läutete nach Tee. Legte sich aufs Sofa, ein elegantes Tischlein zwischen sich und dem Ingenieur. Steif, unschön saß der hagere Pröckl vor dem mächtig Daliegenden.
Herr von Reindl löffelte in seinem Tee, während er auf die raschen, groben, technischen Ausführungen des Ingenieurs hörte. Er nickte lässig, wenn Pröckl sein zufahrendes »Verstehen Sie« hervorstieß, blätterte in einem großen Buch, betrachtete seine Hände, die außen schmal, innen sehr fleischig waren, zerkrümelte Kuchen, gab sich keine Mühe, seine Zerstreutheit zu verbergen. Pröckl nahm erbittert die geringe Aufmerksamkeit seines Chefs wahr. »Wollen Sie lesen oder mir zuhören?« fragte er scharf. Herr von Reindl, ohne das Buch wegzulegen, erwiderte höflich: »Ich will Tee trinken.« Er läutete und sagte dem eintretenden Mädchen, man möge etwas Licht ausschalten, es sei zu hell. Pröckl ärgerte sich, daß der Mann zu faul war, eine so kleine Leistung selbst vorzunehmen. Er schwieg eine Weile. Herr von Reindl trank einige Schlucke seines stark gezuckerten Tees, während Pröckl, trotzdem er noch durchkältet war, das Getränk nicht berührte. Dann, unvermittelt, sehr angeregt, sagte der Fünfte Evangelist: »Wollen Sie mir nicht einige von Ihren Balladen vorsingen?«
Merkwürdigerweise begehrte Pröckl nicht auf. Er sagtenicht: »Haben Sie mich deshalb hergesprengt?« oder etwas dergleichen. Vielmehr war ihm, als habe er nur darauf gewartet, ja, als sei er nach Garmisch gefahren, bloß um dem Fünften Evangelisten seine Balladen vorzusingen.
Er sagte also: »Das wird nicht gehen. Dazu braucht man ein Banjo oder so was.« Herr von Reindl erwiderte lebhaft: »Oh, das ist eine Kleinigkeit«, und gab Auftrag. Zehn Minuten dauerte es, bis das Instrument beschafft war, und zehn Minuten saßen die beiden zusammen, schweigend, beide darauf brennend, was nun kommen werde.
Als das Saiteninstrument da war, ging Pröckl an die Tür und schaltete alles Licht ein. Dann stellte er sich mitten in den Raum, und hell, frech, mit schriller Stimme, häßlich, unverkennbar mundartlich, überlaut begann er zu dem Geklapper des Banjos seine Balladen aufzusagen. Es enthielten aber diese Balladen Geschehnisse des Alltags und des kleinen Mannes, gesehen mit der Volkstümlichkeit der großen Stadt, nie so gesehen bisher, dünn und böse, frech duftend, unbekümmert stimmungsvoll, nie so gehört bisher. Der Violette lag auf seinem Diwan, jeder Wendung des Vortrags folgend, bald die Oberlippe mit dem strahlend schwarzen Schnurrhart gepreßt vorwölbend, bald das fleischige Gesicht entspannt, ein Gemisch von Empörung, Hohn, Anerkennung, Unmut, Genuß. Der Ingenieur Pröckl starrte ihn unverwandt an, schrie ihm seine zotigen, proletarischen Verse in das gepflegte, feiste Antlitz. Dann zog er sich einen kleinen, lächerlichen, vergoldeten Stuhl heran, stellte ihn mitten ins Zimmer, frei, hell ins Licht, daß man jede Stoppel seines unrasierten, hageren Schädels sah, setzte sich hin, frech, rotzbübisch, in seinem verschmutzten Anzug, die Gummisohlen der braunen, abgebrauchten Schuhe nach einwärts gekehrt, den Teppich mit ihrem Dreck besudelnd. Der Violette hörte bewegungslos zu, nur sein Gesicht spannte und entspannte sich, während er aus gewölbten Augen diesen Burschen Pröckl anschaute, wie sein magerer Hals mit dem starken Adamsapfel über dem weichen, farbigen Kragen sich reckte.
Ein Klopfen an der Tür. Herr von Reindl reagierte nicht. Kaspar Pröckl schrie ungeniert weiter. Plötzlich, mitten
Weitere Kostenlose Bücher