Erfolg
nicht, wohl aber Johanna Krains wegen nervös zu werden. Sie saß da, gelassen, in dem Prunk ihres idolhaften Kostüms. Bedachtsam, während man rings zuschaute, nestelte sie ein störendes Schmuckstück aus dem kupferfarbenen Haar, wandte ihr schönes Gesicht mit dem starken Mund und der fleischigen Nase dem Dr. Pfisterer zu. Der hatte primitiverweise einen Venezianermantel über einen etwas altmodischen Frack gezogen und suchte mit rührenderBemühung seine an Lodenjoppe und krachlederne Hosen gewöhnten Glieder dieser zeremoniellen Tracht anzupassen. »Haben Sie eigentlich Frau Johanna Krain gesehen?« fragte sie ihn. »Wissen Sie, ob sie heut abend kommt?« Alle waren verblüfft. Frau von Radolny und Johanna waren befreundet. Wenn irgend jemand über die heutigen Absichten Johannas unterrichtet war, dann Frau von Radolny. Herr Hessreiter wußte zudem, daß sie mit Johanna über ihr Kostüm gesprochen hatte. Was also sollte die bösartige Frage?
Pfisterer schwieg zunächst verwundert, schaute Frau von Radolny beflissen und verständnislos an. »Sie sind doch dick befreundet mit Frau Krüger, nicht?« fuhr Frau von Radolny mit ihrer sonoren Stimme fort, unbeirrt. »Sind Sie nicht mit ihr befreundet?« sagte schließlich Pfisterer, etwas dumm. »Ich denke, wir sind es alle«, sagte er, sich aggressiv rings umschauend. Katharina, immer mit dem gleichen, ruhigen Lächeln, meinte, sie habe jetzt wieder in einer amerikanischen Zeitung einen heftigen Angriff gelesen auf Johanna, die sich in Winterkurorten amüsiere, während ihr Mann im Zuchthaus sitze. Sie meine nur, fügte sie friedvoll hinzu, es sei denkbar, daß solche Urteile Johanna verhinderten, heute zu kommen.
Herr Hessreiter saß da in zunehmendem Unbehagen. Was wollte Katharina? Der Dialog mit dem ahnungslosen Pfisterer konnte nur den Zweck haben, ihm und den andern zu zeigen, daß sie von Johanna abrücke. Wahrscheinlich hing es mit dieser saumäßig blöden politischen Lage zusammen. Wenn Katharina Gründe hatte, ihre Aktion für Johanna jetzt nicht weiterzuführen, warum betonte sie das in einer so launisch taktlosen Form? Das war sonst nicht ihre Art. Geschah es, um ihn zu verärgern? Er trank stark. »Sie haben vergessen, Katharina«, sagte er dann, ohne sie anzuschauen, etwas gravitätisch, »daß Frau Krüger Ihnen ausdrücklich gesagt hat, daß sie kommen wird. Ich will nachschauen, ob sie da ist«, sagte er, die Stimme belegt, die schleierigen Augen auf Katharina. Stand auf, ein wenig mühsam, ging.
Nein, in dem großen Hauptsaal mit dem Sternenhimmel und den vielen rot und grünen Monden war Johanna offenbar nicht. Herr Hessreiter spähte in die zahlreichen Logen und lauschigen Winkel . Wand sich langsam durch die Tanzenden, in seinem schwarzen Kostüm der Nacht , mit seinem Elfenbeinstock, in etwas schwerfälliger Eleganz, ein beleibtes, distinguiertes Gespenst, beschäftigt, verdrießlich. Zum erstenmal seit ihrem vieljährigen Zusammenleben ernstlich verstimmt gegen Katharina. Er hatte solche Züge langsamer, bewußt zielender Bosheit niemals an ihr wahrgenommen. Er sehnte sich nach Johanna, er hatte das Gefühl, er müsse etwas an ihr gutmachen.
Unachtsam erwiderte er viele Grüße, Scherzworte, die seinem Kostüm galten. Tauschte abwesend, mit gewohnter, konventioneller Herzlichkeit, Händedrücke. Immer suchend. Er suchte auf dem Hexentanzboden , im Fegefeuer . Im Hades schlug ihn einer auf die Schulter, ein etwas bäuerlicher Herr, halbnackt, mit Blumen geschmückt, einen phantastischen Kranz auf dem Bauernschädel, einen Fotzhobel an den Lippen, einen Besenstiel mit einem Pinienzapfen in der Hand, umgeben von einigen sehr nackten billigen Mädchen. »Servus«, sagte der Herr. Es war der Maler Greiderer. Er behauptete, Orpheus zu sein, Orpheus in der Unterwelt; die Vorstadtmädchen um ihn herum, die Haserln , hatten sich für diesen Abend in Nymphen verwandelt. Der Maler Greiderer äußerte, er fühle sich ungeheuer wohl. Er blies ein paar Takte auf dem Fotzhobel, klopfte, um das Dionysische zu unterstreichen, mit dem als Thyrsus bezeichneten Besenstiel seinen Haserln den Hintern.
Dem Maler Greiderer kam das Arrangement dieses Festes und sein Trubel sehr zupaß. Er suchte Anlaß, sich zu betäuben. Er hatte Sorgen. Er konnte das große Leben, das Renaissanceleben, das einem Künstler gemäß war, nur schwer aufrechthalten. Schon erfolgte die Gagenzahlung an die Gesellschafterin und den Chauffeur seiner betagten Mutter nicht regelmäßig.
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