Erfolg
Pröckl. Dies war der erbärmlichste Tag seiner Gefangenschaft. Er zerriß den Brief an Johanna Krain; niemals hätte die Zensur des Direktors ihn hinausgehen lassen. Er rechnete, wie lange er noch so werde bleiben müssen. Es waren noch viele Monate, sehr viele Wochen, endlos viele Tage. Er schlief nicht in dieser Nacht. Er formulierte an dem Brief für Johanna.
Andern Tages arbeitete er mehrere Stunden an den wenigen Zeilen des Briefes, sie so zu machen, daß sie die Zensur des Direktors passierten. Der Oberregierungsrat Förtsch freute sich, als er den ungewöhnlichen Brief las, sein Kaninchenmaul arbeitete hastig. Er las den Brief mehrere Male, merkte sich einzelne Stellen, um sie den Honoratioren am Stammtisch des benachbarten Ortes, wo er zweimal die Woche sich einstellte, zum besten zu geben. Dann zensurierte er den Brief als unstatthaft und legte ihn zu den Akten.
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Die Nachtwandler
Herr Pfaundler, so mondän und international er im allgemeinen »Die Puderdose« wünschte, legte an gewissen Tagen besonderes Gewicht auf gut bayrische Färbung. So wie man nur in München Bier herstellen konnte, es lag an der Beschaffenheitder Luft, des Wassers, so auch konnte man nur in München, es lag an der Beschaffenheit der Menschen, Feste feiern ohne Krampf und Ziererei, Stimmung herstellen, Gaudi . Solche richtige, anspruchslos derbe Münchner Atelierfeste veranstaltete Herr Pfaundler mehrere. Für die Kostümierung wurde jedesmal eine andere Parole ausgegeben, immer zwanglos, so daß keiner gebunden und jedem alles erlaubt war.
Die Idee dieser kleinen Bälle schlug ein. Die Fremden taten enthusiastisch mit. Für das Dekorative zog Herr Pfaundler den Maler Greiderer zu und den Künstler der Serie »Stierkampf«, die diese Aufgabe mit Beflissenheit und Geschmack lösten. Herr Pfaundler sparte nicht; diese Feste waren ihm Herzenssache. Eigens für sie holte er sich aus München kleine Maler, Kunsthandwerker, allerhand Viecher , junge Leute, die auf gute Art lustig sein konnten. Schaffte sie auf seine Kosten nach Garmisch, hielt sie frei.
Diesmal hieß die Parole: Die Nachtwandler. Eine geschickte Parole. Denn was nicht alles wandelte in der Nacht? Wer es sich leicht machen wollte, konnte einfach, einer beliebten Ballmode jener Jahre folgend, im Pyjama kommen.
Sakrament, was hatten die Herren Künstler aus der »Puderdose« herausgeholt. Wo war das achtzehnte Jahrhundert hingeraten, der vornehme Kachelbelag, der ganze mondäne Krampf? Heute gab es unter einem kunstvollen Sternenhimmel mit rot und grünen Lampions ein astrologisches Laboratorium, einen Hexentanzplatz, Grauen und Schauer erregend mit wilden Teufeln, sogenannten Gangerln , und saftigen Hexen von naiver Obszönität, ein Fegefeuer, aus flatternden gelb und roten Papierschlangen gruselig zurechtgemacht. Den Hades gab es mit dem Flusse Styx und einem kunstvoll schaukelnden Boot (Überfahrt für Einheimische zwanzig Mark, für Ausländer zehn Cent). Der Privatzirkel aber war in eine Mondlandschaft verwandelt, großartig öd, grotesk, romantisch, verziert mit kräftigen bayrischen Sprüchen. Wollte man sich aber von all dem Graus wohlfeil und behaglich erholen, dann brauchte man nur in das Bierstüberl zu gehen,das der Maler Greiderer mit besonderer Liebe ausgestattet hatte. Tücher mit den weißblauen Würfeln des bayrischen Wappens bildeten ein freundliches Zelt. Viel Grün war da, flatternde Wimpel, Fähnchen. Lustige Zeichnungen, zutraulich optimistische Inschriften stärkten die Herzen.
Eine Stunde nach dem angesetzten Beginn war die »Puderdose« bis in den letzten lauschigen Winkel gefüllt. Es war kein schlechtes Bild. Nicht fehlte jene ganz leise Dosis Verruchtheit, die Herr Pfaundler gerne für die Raffinierteren beimischte. Das schwarze, hochgeschlossene, langschleppige Kleid etwa, das den schmächtigen, demütigen Körper der Insarowa eng umschloß, konnte auch dem prüdesten Beobachter nicht anstößig erscheinen und wirkte trotzdem so, daß selbst die Mausaugen in dem wulstigen Schädel des Unternehmers, der seine Tänzerin und ihre Tricks doch allmählich kannte, sich geil und anerkennend entzündeten. Auch die Art, wie dieser von Dellmaier und sein Freund ihre Kostüme leicht anrüchiger Damen trugen, war gerade durch ihre freche Diskretion wirkungsvoll.
Doch solcher Kostüme gab es nur sehr wenige. Grundstimmung blieb das Derbe, Harmlos-Lustige, die bayrische Gaudi.
Trotzdem also erreicht war, was Herr Pfaundler wollte, war er auffallend
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