Erfolg
Stirn standen. Die festen, großporigen Kinderhände. Die langen, entschiedenen, grauen Augen. Sie hatte nicht erst umständliche Versuche gemacht, sich auffällig zu kostümieren. Ihr ebener Bau, strotzend, doch ohne Fett, ihre warme Haut kamen augenscheinlich aus dem ungezierten, schwarzen Kleid. Herr Hessreiter spürte heftiges Verlangen, ihre Hand zu drücken, seine schleierigen Augen von ihren hellen treffen zu lassen. Aber der Unmut über ihre Gesellschafter hinderte ihn. Er beschloß, an ihrem Tisch vorbeizugehen. Zeigte sie sich erfreut bei seinem Anblick, dann wollte er sich heransetzen.
Sie begnügte sich, ihm lässig-freundlich zuzunicken. Beleidigt ging er vorbei.
Ja, Johanna Krain war froh an der Unterhaltung ihrer windigen Gesellschafter. Das waren lustige, unbeschwerte Jungen, ihr Gespräch fuhr munter hierhin, dorthin, immer an der Oberfläche. Unter andern Umständen hätte sie sich wahrscheinlich nicht amüsiert an den frechen Bardamenkostümen der beiden zweideutigen Gesellen. Aber heute war sie froh an jeder leichten, unernsten Ablenkung. Es war gut, allein zu stehen; aber manchmal, zum Beispiel wenn so ein Haufen dreckigen Zeitungsgewäsches über einem zusammenschlug, wäre es doch angenehm gewesen, jemanden zu haben, mit dem man reden konnte. Ohne viel scharfe, richtige, unbequeme Worte. Es war Ball der Nachtwandler : sollte sie Skrupel haben, mit wem sie zusammensaß? Sie trank. Sie hörte auf die süffisanten Reden der beiden, die sich gegenseitig umfaßt hielten, die Jungensgesichter leicht geschminkt, obszön. Aus ihren Reden war ihr Schicksal und ihre Art mühelos zu konstruieren; sie waren im Schützengraben Freunde geworden, der ältere von Dellmaier und der milchgesichtigeErich Bornhaak. Die Unzertrennlichen hießen sie, auch Kastor und Pollux. Sie hatten den Schwindel durchschaut. Hatten Heldentaten verrichtet, aus Langeweile. Hatten verlernt, an irgend etwas zu glauben. Bismarck, Gott, Schwarzweißrot, Lenin, völkische Belange, Wandervogelbewegung, Expressionismus, Klassenkampf: es war alles derselbe Schwindel. Fressen, saufen, huren, ein bißchen Nachtlokale, ein bißchen Film, sehr schnell Autofahren, ein gutgeschnittener Smoking, würdige Männer verulken, ein neuer Tanz, ein neuer Song, ihre Freundschaft: das war Leben. Was man sonst sagte, Leitartikel. Sie sahen sich trotz des Unterschieds von acht Jahren sehr ähnlich, lang aufgeschossen, blaß, wässerig, ohne rechte Kontur, spitz zulaufende Gesichter. Georg von Dellmaier hatte sein hohes, pfeifendes Lachen, Erich Bornhaak die plötzlich zupackenden Augen. Sonst unterschieden sie sich wenig. Sie erzählten in schneller Folge kleine, schamlose Anekdoten. Sie selber, ihr ganzer Kreis, die Stadt München, das Reich, der Krieg, die Welt verwandelte sich in ihren Erzählungen in einen Ameisenbetrieb von Leerheit, dünner Geilheit, vollkommen unsinniger Geschäftigkeit. Sie verrieten einander dreimal in jeder Minute und waren bereit, sich einer für den andern in Stücke hacken zu lassen. Sie hielten sich grotesk umschlungen in ihren Barmädchenkleidern. Es war unvorstellbar, daß sie ein Leben führen sollten ohneeinander. Sie erzählten geschäftig, einer nahm dem andern das Wort aus dem Mund. Johanna saß dabei, groß, schön, nur leicht ablehnend, amüsiert.
Auf einmal sprachen die Burschen von dem Prozeß Krüger. Mit einer gewissen kalten, niederträchtig wohlwollenden Vertraulichkeit. Johanna spürte einen Stoß. Es war gemein, ihre Sache im gemeinen Munde dieses Gesindels zerkaut und zerspuckt zu hören; aber sie blieb sitzen. Sie sah mit ihren kühnen, gläubigen Augen der kahlen, lässigen Verderbtheit dieser Jugend ins Gesicht. Daß Menschen so jung sein konnten und so glaubenslos. Auf diesem dünnen, zähen Zynismus wuchs nichts, hier konnte nichts angebaut werden, kein Gefühl,keine Idee. Nachdem Herr Dr. Geyer ihre Sache geführt habe, sagte Erich Bornhaak, die gefärbten, manikürten Nägel seiner dünnhäutigen Hand anstarrend, sei es von vornherein sicher gewesen, daß nichts dabei herauskommen konnte. »Wissen Sie«, sagte er plötzlich, mit scharfen Augen Johanna anpackend, »daß Dr. Geyer auf dem Papier mein Vater ist?« Johanna schaute so verblüfft in die Augen des Jungen, daß Herr von Dellmaier hemmungslos in sein plattes, pfeifendes Lachen ausbrach. Auf alle Fälle, fuhr die dünne, spöttische Stimme Erichs fort, habe Dr. Geyer einiges Geld für seine Erziehung bezahlt. Er selber übrigens glaube nicht
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