Erfolg
an diese Vaterschaft, er habe bestimmte Gründe, durchaus nicht an diese Vaterschaft zu glauben.
Nun aber war es genug. Sie hatte Bedürfnis nach frischer Luft jetzt. Sie wollte sich durch nichts stören lassen mehr, sie wollte fort aus dieser albernen Mondlandschaft , sie wollte jetzt mit Jacques Tüverlin sprechen.
Der war Herrn Pfaundler in die Hände gefallen. Herr Pfaundler, in der tatkräftigen Stimmung des großen Festorganisators, arbeitete daran, seine Idee der Revue bei Tüverlin durchzusetzen und das Radikale, Politische auszumerzen. Ein naiv prunkvoller Passionsfilm mit schlauer Spekulation auf Amerika wäre auch keine schlechte Sache gewesen; aber er hatte sich jetzt eine Münchner Revue in den Kopf gesetzt. Er hatte eine deutliche Vision. Das mit dem »Kasperl im Klassenkampf« war natürlich ein Schmarren. »Höher geht’s nimmer« hingegen, da war Behagliches, Münchnerisches, da rauschte die grüne Isar, da schmeckte man Bier und Weißwurst. Auf diese Basis konnte man eine veredelte Revue stellen. Auch konnte man, wandte man das Motiv »Höher geht’s nimmer« auf die Frauenkostüme an, einen rechten Nebensinn behaglicher Fleischlichkeit hineinbringen. »Bauen, Brauen, Sauen«, der alte Wahrspruch Münchens sollte der Revue ihren Geschmack geben. Herr Pfaundler redete also in väterlichem Ton auf den Schriftsteller Tüverlin ein. Der liebte es nicht, sich zu kostümieren. Vielmehr saß sein zerknittertes, blinzelndes,listiges Gesicht über einem korrekten Smoking und einem korrekten, steifen Halskragen. Herr Pfaundler hingegen sah etwas seltsam aus. Um die fette Brust hatte er die Kette des Festordners geschlungen. Eine Papierkrone trug er auf dem wulstigen, pfiffigen Schädel. Die kleinen, tiefliegenden Mausaugen glitzerten; denn er hatte getrunken, helles, leuchtendes Märzenbier heute, während er sonst Wein bevorzugte. Die Insarowa, demütig und lasterhaft in der schmalen Pracht ihres engen, fließenden, hochgeschlossenen Kleides, saß wunderlich verrenkt, wie frierend, neben ihm.
Pfaundler tätschelte Tüverlin die Schulter. Redete ihm gut zu wie einem kranken Kind. Er solle doch auf seine politischen Faxen verzichten und eine anständige Revue schreiben. Wenn einer, habe er das Zeug dazu. Er, Pfaundler, schmecke das, er habe den Riecher. Der Künstler müsse über den Zinnen der Partei stehen, das sei doch ein alter Schnee. »Machen Sie keine Geschichten«, ermunterte er. »Stellen Sie sich über die Zinnen der Partei. Auf geht’s.« Die Insarowa schaute aus schiefen Augen in das nackte, zerknitterte Gesicht Tüverlins, rückte unmerklich ab von Herrn Pfaundler. Tüverlin erwiderte, er sei politisch nicht sehr interessiert; er wolle nichts als die ungeheure Chance ausnützen, einen Schauspieler vom Format des Komikers Balthasar Hierl in die rechte, ergiebige, heutige Situation setzen, eben in die Situation des Klassenkampfs. Hier sehe er eine Quelle großen, legitimen Gelächters. Herr Pfaundler blieb skeptisch. Der Komiker Balthasar Hierl sei als Zugabe ausgezeichnet. Aber man müsse nicht nur Senf geben, sondern auch Wurst. Das Hauptstück einer Revue, auch einer veredelten Münchner Revue, der eherne Fels seien die nackten Mädchen.
In Pfaundlers Ästhetik hinein forderte die Musik auf zur Française. Tüverlin brach die Debatte ab, trat mit der Insarowa zum Tanz an.
Es war aber die Française ein Gruppentanz, im übrigen Deutschland außer Mode. In Bayern hatte sie sich erhalten, hatte sich dort den Bräuchen der Bevölkerung angepaßt, galtals Hauptstück aller Münchner Bälle. Man stand sich in langen Ketten gegenüber, marschierte sich entgegen, sich bei den Händen fassend. Man verneigte sich, umschlang sich, drehte sich eng umschlungen wild um sich selber. Man hob die Frauen auf verschränkten Armen hoch, ungehemmt hinausschreiend. Drehte sich mit der Tänzerin gegenüber, der Tänzerin nebenan, wirbelnd, die Kommandos des komplizierten Tanzes brüllend. Man schwitzte, jauchzte, mit leuchtenden Augen. Man kreiste in rasendem Wirbel, Frauenschenkel auf den verschränkten Armen, Frauenarme um den Nacken. Man küßte, knutschte, schüttete Sekt hinunter, überspült von der Musik eines riesigen Orchesters.
Von den Bayern fehlte keiner bei diesem Tanz. Herr Pfaundler selber schloß sich nicht aus; seine Papierkrone saß nicht ganz gerade, die Kette wackelte auf seiner fetten Brust. Aber die Mausaugen schauten klar und schnell rechnend aus dem wulstigen Schädel, streiften
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