Erfolg
reichen sollte. Unterhielt nicht Frankreich, trotzdem Außenpolitik verfassungsgemäß nur von Berlin aus gemacht werden durfte, eine eigene, großspurige Gesandtschaft in München? Man ließ, was eigentlich der Geheimrat Bichler in Paris zettelte, im dunkeln, wies aber, vorsichtig drohend, bei der geringsten Differenz die beunruhigten Vertreter des Reichs auf diese geheimnisvolle Reise hin.
Das Büro des kleinen Pariser Hotels, in dem der Blinde wohnte, hatte strenge Weisung, niemanden vorzulassen, niemanden zu melden. Ein Herr Bichler war dort unbekannt. Er empfing keine Besuche. In den Palais gewisser geistlicher Würdenträger traf er den oder jenen. Auch in den Häusern nationalistischer Führer sah man den schweren Mann herumsitzen, an ungefügen Wortbrocken kauend, klobig lachend, mit seinen blauroten, knotigen Händen den Stock in die weichen Teppiche bohrend.
Johanna mußte lange warten, bis sie von Bichlers Sekretär die Nachricht erhielt, sie könne den Geheimrat bei Orvillier kennenlernen. Sie ging in das berühmte Restaurant. Es warüberfüllt. Auf den Korridoren, vor den Garderoben warteten Gäste auf Aufruf ihrer Nummern und auf Platz. Am Tische Bichlers war ein Stuhl für Johanna reserviert. Der schwere Mann saß da, sein viereckiger, fleischiger Kopf sah heute, gut rasiert, nicht alt aus; aber in Haltung, Kleidung, Gehabe war er vernachlässigt. Umwickelt mit Servietten saß er und schlang in sich hinein die zarten, mit erlesener Kunst bereiteten Gerichte. Sein Sekretär fütterte ihn. Die Saucen troffen ihm von den Lippen und Kinn, er schmatzte, schob mit blauroten Fingern Speise in den weiten Mund, kaute, schlang, stieß grunzende Laute der Anerkennung, der Ablehnung aus. Goß sich Wein in die Kehle, ihn verschüttend. Die Kellner standen herum, dienstbereit, wie sie erzogen waren, doch nicht fähig, den staunenden Ekel über den fressenden Metöken ganz zu verbergen.
Als der Sekretär ihm sagte, wer sich an ihren Tisch gesetzt habe, lallte der Mann zunächst Unverständliches. Johanna, nicht wissend, ob er deutsch oder französisch spreche, erkannte langsam, daß es bayrisch war. Abgerissen, schnaubend, brummte, schimpfte, knurrte er. Er wisse schon, wer sie sei. Natürlich wisse er es. Was eigentlich sie von ihm wolle?
Johanna erklärte, die Gerichte des Dr. Klenk zögerten das Wiederaufnahmeverfahren ihres Mannes Krüger böswillig hinaus. Sie lehnten den Antrag nicht ab, gäben ihm aber auch nicht Folge. Seit Monaten beschränkten sie sich darauf, zu prüfen.
Warum sie da zu ihm komme? knurrte er. Ob sie an das Zeitungsgetratsche glaube, daß er sich viel um Politik kümmere, alter, blinder Bauer, der er sei? Alles mögliche Geschwerl laufe ihm nach, besichtige ihn wie ein Menagerietier. Johanna hielt still. Der alte Mann interessierte sie. Er schnupperte, als wollte er sich durch ihren Geruch ein Bild von ihr machen. Weiber, sagte er, sollten sich nicht in Politik mischen. Es sei nicht Politik, erklärte sie. Sie wolle den Mann wiederhaben, ihren Martin, den man unschuldig ins Zuchthaus gesperrthabe. Unschuldig! höhnte er, die Knochen eines Vogels zerkrachend. Hätte er sich ruhig gehalten. Etwas wird er schon angestellt haben. Und was denn er tun solle? Sei er Minister? Was gehe ihn die Justiz an? Ganz verändert, nachdem er den Riesenbissen mit einem Riesenschluck Wein hinuntergespült hatte, gemütlich sagte er, es sei alles nur halb so schlimm. Er sei nicht dafür, daß man Menschen schinde. Er sei ein guter Christ, das wisse man. Bei der nächsten Amnestie den Schuldigen zu begnadigen, das sei ganz in seinem Sinn. Das werde er auch laut sagen. Vorausgesetzt, daß jemand auf ihn hören wolle. In den Zeitungen stehe so was, aber schon darum sei es unglaubwürdig.
Dann versank er. Beschäftigte sich nur mehr mit Essen. Über Martin Krüger war kein Wort mehr aus ihm herauszubekommen. Johanna machte sich fort, während ihm der Sekretär mit der Serviette den Mund wischte.
Sie sagte sich, dieser Dr. Bichler sei gar nicht so uneben. Nur an ihr lag es, nur an jener wunderlichen Lähmung, nur an der Trägheit ihres Herzens lag es, daß sie nicht mehr hatte von ihm erreichen können.
3
Kasperl im Klassenkampf
Jacques Tüverlin, während Herr Pfaundler bereits eintrat, sagte zu seiner Sekretärin: »Lassen Sie mir den Pfaundler nicht herein. Schmeißen Sie ihn hinaus. Ich kann ihn nicht brauchen.« Pfaundler, unberührt, einige Manuskriptblätter aus seiner Tasche ziehend, sagte: »Sie
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