Erfolg
machen sie sich nicht aus seinem Latein.
Anton von Messerschmidt stiert auf die Inschrift über dem Schreibtisch. Schön, sie lachen also über die Inschrift. Der Narr lacht, weil der Messerschmidt sich den vermoderten Bäckergesellen vors Aug hinhängt. Vielleicht ist es wirklich komisch. Vielleicht ist er selber der größte Narr.
Er verbeißt sich in seine Akten. Man hat ihm Zeitungsausschnitte hergerichtet über die Versammlungen der Wahrhaft Deutschen wegen des Falles von Dellmaier. Da wenigstens hat er zugepackt. Die Freilassung dieses niederträchtigen von Dellmaier hat er rückgängig gemacht. Jetzt aber wird das Gesindel frech, ungeheuer frech wird es, es macht aus dem gemeinen Versicherungsschwindel dieses Lumpen eine Staatsaktion. Man bestürmt ihn, den Untersuchungsrichter, den Staatsanwalt mit Forderungen. Sie schicken ihm läppische, anonyme Briefe, sein Testament solle er machen, es sei höchste Zeit. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie es ernst meinen. Die Räude ist über das Land gekommen, das schöne Land Bayern ist räudig geworden, und seitdem die Räude im Land ist, ist nichts mehr ausgeschlossen. Schon sind seine Kollegen im Kabinett butterweich vor Angst. Der behutsame Ditram fragt dringend, ob es denn wirklich nicht angängig ist, den Dellmaier, bis die Atmosphäre ruhiger wird, aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Der Flaucher macht es direkter,schimpft, flucht: soll vielleicht wegen ein paar verreckter Köter der ganze bayrische Staat kaputtgehn? Aber der Messerschmidt denkt nicht daran, ihnen den Gefallen zu tun. Da sind sie alle geschlenkt. Nicht laufen lassen wird er den Lumpen.
Das Telefon schnarrt. Man meldet ihm Frau Krüger. Ja, jetzt wird er also diese Frau Krüger empfangen. Es hat nicht viel Sinn. Der Fall ist zur Genüge wiedergekäut, zehnmal im Parlament, hundertmal in den Zeitungen. Soll er Zeit, Kraft, Nerven wenden an eine aussichtslose Sache? Es gibt so vieles, was schwebt, sofortiges Zugreifen verlangt. Der Fall Krüger ist abgetan, erledigt. Nur diese Frau rennt noch herum und schreit, der Mann im Zuchthaus sei unschuldig.
Solches denkend also saß der Justizminister Messerschmidt in seinem Sessel, als Johanna eintrat, um ihn zu stellen, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
Sie sah den Mann, der riesig dahockte. Sie sah den merkwürdigen Spruch über seinem Schreibtisch. Sie hatte davon gehört; aber sie wußte nicht mehr, was er bedeute.
Sie hub zu sprechen an, und da sie zu sprechen anhub, erlebte sie deutlicher als diesen ihren Besuch hier im Justizministerium ihren letzten Besuch in Odelsberg. Leibhafter als damals Martin Krüger vor ihr gesessen war, leibhafter als je in der Villa Seewinkel, saß er jetzt vor ihr im Arbeitszimmer des Ministers. Wieder hörte sie genau, wie er sagte: unter freiem Himmel . Sie sprach. Sie schrie nicht; es war nicht jene bittere Erleichterung, die sie sich erhofft hatte. Aber sie spürte sogleich, daß hier endlich ein Mann war, der ihrem Zorn nicht zuhörte wie den Ausbrüchen einer armen Irrsinnigen, freundlich und ein wenig ungeduldig. Sie sprach lange, und er hörte ihr zu, und sicher nicht dachte er, wie es seinerzeit der Reichsjustizminister Heinrodt getan hatte, an die Antwort, die er ihr geben könnte. An diesen Mann konnte man hinsprechen und wußte, es ging in ein Ohr und in ein Herz.
Herr von Messerschmidt seinesteils war darauf vorbereitet, maßlose Klagen, provokatorische Zornausbrüche anzuhören. Daß der Krüger ein Schlawiner war, stand fest, dieWahrscheinlichkeit seiner Unschuld war gering, und der Zuchthausdirektor Förtsch, über den Johanna so erbittert klagte, galt als zuverlässiger Beamter. Was diese Frau sagte, war bestimmt übertrieben, und wenn sie juristische Dinge vorbrachte, klangen sie, als wären sie ihr vom Advokaten eingelernt. Dennoch, wie sie dasaß, wie sie drauflossprach mit ihrem starken Mund, tat ihm wohl. Es ging von dieser Frau ein fester Glaube aus und eine gesunde Wildheit. Wer hatte recht? Der Hartl, der damals den Krüger verurteilt hatte, ein ausgezeichneter Jurist, oder diese Frau Johanna Krüger, die nicht sehr logisch daherredete? Die vorquellenden, müden Augen des Alten tauchten in die kühnen, grauen der Frau. Er sah dieses bayrische Mädchen. Es war geboren, sinnvoll beschäftigt zu sein, dabei für Mann und Kinder zu sorgen. Mit dieser bayrischen Justiz herumzuraufen, deren Maschinerie niemand besser kannte als er, dafür war sie nicht geboren. Da hockte sie vor ihm und
Weitere Kostenlose Bücher