Erfolg
aufnahm; einer mußte dableiben, bis er zu Ende war.
Johanna war telegrafisch benachrichtigt. Sie kam gegen Mittag. Sie stand in der Zelle, allein mit dem toten Mann. Ruckte den breiten Kopf heftig gegen ihn, schaute streng auf ihn hin. Es gab einiges zu klären zwischen ihm und ihr. Sie wußte: wenn sie das jetzt nicht kann, dann wird es nie mehr zu klären sein, dann wird sie zeitlebens in dem unsichtbaren Käfig hocken müssen. Sie trat ganz nahe heran an die Pritsche. Beschaute aufmerksam das Gesicht, das graugelblich aus der roten Decke hervorkam. Es war sehr glatt, man hatte das gut gemacht. Aber gewonnen war nicht viel dadurch, das Gesicht war nicht milder geworden. Es war, Teufel noch eins, kein friedliches Gesicht. Sie sah gleich, schwerlich wird sie mit diesem Mann ihre Sache ins reine bringen können.
Wenn sie sich bisher seine Zelle vorstellte, die sie nie sehen durfte, hat sie immer das Gefühl gehabt, es müsse dort kalt sein. Sie war überrascht, daß es sehr heiß war. Ja, es war geheizt, es knackte in den Heizrohren. Sie schaute sich den Raum an, sehr genau, das kleine Fenster, dahinter die Stäbe, fünf senkrechte, zwei waagrechte. Die mattgrünen Wände, oben geweißt, die Stellen, an denen Nägel wieder ausgezogen waren. Das Thermometer, den oft beredeten weißen Kübel. Die vier Broschüren in der Ecke. Sie nahm die Sparmerkblätter herunter, blätterte darin, mechanisch. Auf dem Tisch lag ein kleiner Brotlaib, den der aufräumende Gefangene nicht zu entfernen gewagt hatte. Johanna nahm ihn in die Hand; er war sehr trocken.
Zweiundzwanzig Monate sind es, sechshundertsiebzig Tage, sie hat es im Auto genau berechnet, die dieser Mann hier gelebt hat. Er muß den Raum hier ganz ausgelebt haben in seinen sechshundertsiebzig Tagen, jeden Kubikzentimeter der winzigen Zelle, die sie nach einer Minute schon zu bedrücken beginnt. Martin war sehr hungrig, Neues zu sehen. Hier gab es nicht viel zu sehen. Kann man leben, wenn man nicht jeden Tag ein Neues sieht?
Man wird ihm, einem Kunsthistoriker ersten Ranges, eine Maske abnehmen. Sie weiß auch ohne Maske, wie es um diesesGesicht bestellt ist. Sie wird nicht eine Pore davon vergessen, bis zu ihrem letzten Tage nicht. Das Haar ist kurzgeschoren; aber man sieht doch, wie stumpf es ist und übel verfärbt, nicht mehr strahlend schwarz. Die fleischige Nase steigt gelb, lächerlich groß, aus zwei tiefen Falten. Der Mund ist strichschmal. Das massige Gesicht ist auch jetzt noch schlaff. Aber das täuscht. Mit sich reden läßt der Mann trotzdem nicht. Vor allem die breite Stirn ist bösartig, in die die Haare tief hineingewachsen sind. Es ist ein hartes Gesicht. Der Tote läßt sich nichts abhandeln.
Die Augen müßten da sein. Wenn das Gesicht seine grauen, lebendigen Augen aufschlüge, dann wäre gleich alles anders. Sie müht sich heftig, den früheren Martin ins Gedächtnis zurückzukriegen. Der liebte Rede und Widerrede, Auseinandersetzung, pathetische Szenen. Aber der laute, einfühlsame Mensch ist ganz und gar fort, geblieben ist nichts als die harte, gelblichgraue, bösartige Maske. Sie muß hinstarren, sie muß näher hin, die Maske kommt auf sie zu, schwer, heiß, atemklemmend, wie damals der nasse Gips, der sich um ihr Gesicht legte. Lähmung überkommt sie, Erstarrung, das Gefühl einer riesigen Rechnung, die ihr vorgehalten wird und die sie niemals zahlen kann. Eine kalte Wut steigt in ihr hoch. Sie wird nicht zugeben, daß man dem da eine Maske abnimmt. Das graugelbe Gesicht muß aus der Welt. Verbrennen lassen wird sie den Mann und sein Gesicht. Aber sie weiß genau, das nutzt nichts. Immer wieder spüren wird sie, wie die graugelbe, harte Form auf sie zukommt, sich ihr über die Augen senkt, ihr Nase und Mund verstopft.
In jagender Hast überlegt sie, ob sie eine Möglichkeit hatte, irgendeine, Martin früher zu sagen, daß er nicht mehr vierhundertsechsundzwanzig Tage in dieser grünlichen, sarghaften Zelle wird aushalten müssen, daß er nur noch einen winzigen Teil Geduld haben muß. Ja, es gab eine Möglichkeit, sie hatte sie: sie hätte nur besseren Willens sein müssen, nicht so voll Stolz und Verstocktheit. Sie hätte nur rechtzeitig mit Tüverlin zu reden brauchen, bevor er wegfuhr. Sie hatdieses Vernichtungsgefühl gespürt damals, als Martin es ihr schilderte. Die andern nicht, aber sie hat es gespürt. Sie hätte reden müssen. Nicht Tüverlin ist schuld: nur sie, sie, sie.
Tot ist tot. Und der Prozeß Krüger ist aus. Und ein
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