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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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die in ihm die Ursache ihres Unglücks sahen. Der einzige unter ihnen, der Polarerfahrung hatte, war tot. War aufgebrochen mit noch zweien, um übers Eis das Festland zu erreichen. War erfroren unterwegs, vielleicht verhungert, vielleicht aufgefressen von seinen Gefährten, das wußte man nicht. Aber das wußte man, daß der Südländer sich vor seinen Gefährten hatte retten lassen, er, der Kapitän, vor den andern, und daß er schuld war am Tod des Nordländers und am Tod von acht andern, und daß die Davongekommenen ihre Rettung verdankten dem Eisbrecher eines Landes, das in Kultur und Politik der schärfste Gegner seines eigenen Landes war.
    Er war als erster in der Luft über der Arktis erschienen,mit Fahrzeugen, die er selbst erdacht, gebaut, geführt hatte. Vor wenigen Wochen noch hatte die Welt ihn ungeheuer gefeiert, weit über Gebühr, weit mehr als je den Nordländer. Jetzt bespuckte sie ihn. Jetzt war er ein Feigling, eine Schmach seines Landes, komisch und erbitternd.
    Der andere war tot, tot durch ihn, für ihn. Er lebte, er war der einzige Lebende, der ein Luftschiff über die Arktis geführt hatte. Aber der andere war der große Mann: er war lächerlich, selbst sein Land verleugnete ihn.
2
Die Toten sollen das Maul halten
    Morgens um sieben Uhr wurden die Strafgefangenen Triebschener und Renkmaier von einem sichtlich bestürzten Wärter zu Ministerialrat Förtsch gerufen. Der Kaninchenmäulige biß sich mit seinen kleinen, schadhaften Zähnen auf der Lippe herum, die Härchen aus der Nase zuckten. »Ich muß Ihnen die traurige Mitteilung machen«, sagte er, »daß Ihr Mitgefangener Martin Krüger heute nacht sanft entschlafen ist.« Leonhard Renkmaier riß töricht die wasserhellen Augen auf. Hugo Triebschener sagte: »Der ist verdammt schnell vor die Hunde gegangen. Gerade noch hat er mir gratuliert, daß ich die Klara kleingekriegt habe.« Leonhard Renkmaier sagte: »Er hat schon immer geklagt.« Hugo Triebschener bestätigte: »Ja, recht beisammen war der Krüger nicht.«
    Diese Äußerungen bewirkten, daß ein Mann in der Ecke eine kleine Bewegung machte. Sie hatten den Mann nicht gesehen. Es war Dr. Gsell. Man hatte ihn aus dem Bett geholt; es war ihm nur übriggeblieben, den Tod des Strafgefangenen 2478 festzustellen. Jetzt hockte er im Büro des Förtsch, unrasiert, das Haar wirr, die Weste nicht zugeknöpft, die Krawatte schlecht gebunden.
    Dem Förtsch war es eine Genugtuung, daß die Kameradendes Krüger so daherredeten, den Arzt ohne böse Absicht belastend. Das war aber der einzige süße Tropfen in einem großen Becher Bitterkeit. Er hatte die Klasse XIII erreicht. Es war nur mehr eine Frage von Wochen gewesen, bis er die Leitung dieser verfluchten Anstalt abgeben und nach München übersiedeln konnte. Er hatte vor sich gesehen ein oder zwei Jahre Amtierens in der Stadt, in gehobener Stellung, dann einen behaglichen Lebensabend, verschönt durch die Würde und die Ruhestandsbezüge eines Beamten der Sonderklasse. Jetzt war, zum wievielten Mal, wieder alles in Frage gestellt. Es hatte verlautet, daß die Amnestierung des Krüger beschlossene Sache sei, in den allernächsten Tagen erfolgen werde. Verfluchtes Pech, daß dieser Bursche gerade noch bei ihm abkratzen mußte. Aus allen Winkeln des weitläufigen Gebäudes spürte er auf sich zukriechen Bestürzung, Vorwurf, Empörung, Schadenfreude, haßvolle Genugtuung. Da hockte mürrisch und verwirrt dieser Haufen Unglück, dieser Ignorant von einem Gsell. Böse hin auf den Arzt schielte er, sprach nur spärliche Brocken zu ihm, verhalten wütende, ironische. »Dieser Krüger scheint also doch kein Simulant gewesen zu sein«, konstatierte er vier-, fünfmal.
    Der Tote lag auf seiner Pritsche, unrasiert, eine Hand hing herunter. Dem Förtsch, der Besichtigungen voraussah, mißfiel dieses Arrangement. In der Zelle lassen konnte man die Leiche; da war sie für sich, und die kahle Stille ringsum gab eine gewisse Würde. Aber eine anständige Decke muß her, besser aufgebahrt werden soll der Tote, auch rasieren soll man ihn. Der Friseur der Anstalt, ein Gefangener, machte sich ans Werk. Er war ein Hasenfuß, grauste sich vor Leichen. Man mußte ihm für den ganzen Rest der Woche ein tägliches Glas Bier versprechen. Als er, um an die andere Wange heranzukommen, den Kopf des Toten ein wenig drehte, fing der an zu gurgeln. Der Friseur, gräßlich erschrocken, ließ das Messer fallen, lief davon. Es bedurfte langen Zuredens, bis er sein Werk wieder

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