Erfolg
dünnhäutig und schwach, und der Stoff seiner Jacke war fest, und es ging nicht. Er holte eine Schere und schnitt in die Jacke, auch das war schwierig, doch schließlich gelang es, und dann riß er weiter. Dann setzte er sich auf die Erde, auf den Schemel. Dort blieb er hocken.
Die Haushälterin Agnes kam herein. Er hockte stumpfsinnig und sah alt und verfallen aus. Er mußte einen schweren Schlag bekommen haben, wahrscheinlich von dem ausgehausten Lumpen. Das hatte ihn vollends verrückt gemacht. Siebrummelte leise, aber sie wagte nichts zu sagen und schlurfte wieder hinaus.
Nach einer Weile hörte sie ihn hin und her gehen. Doch als sie vorsichtig ins Zimmer schaute, hockte er wieder auf dem Schemel. Sie sah jetzt auch, daß er sich die Jacke zerrissen hatte. Sein Kopf hing nach vorn herunter, es war ein Wunder, daß ein Mensch so sitzen konnte. Sie fragte, ob er essen wollte; er erwiderte nicht, und sie drängte nicht.
Sie ging in dieser Nacht nicht zu Bett. Sie horchte ins Zimmer, was er tue. Er hockte die meiste Zeit auf der Erde, manchmal schleppte er sich hin und her. Die Kerzen gingen aus, er hatte keine neuen. Er schaltete das elektrische Licht nicht ein, hockte in dem dunkeln Zimmer.
Der Junge hatte die Beine gekreuzt. Es waren karierte Hosen aus einem ausgezeichneten, englischen Stoff, gut gebügelt. Er selber hatte wahrscheinlich niemals so gute Hosen getragen. Die Strümpfe waren dünn, mattglänzend. Die Schuhe schmiegten sich stark und bequem, sicher waren sie nach Maß gefertigt. Die Katzenfarm war ein tolles Projekt, aber sie war ein Einfall. Der Junge hatte verflucht viele Interessen. Politik, Blutuntersuchungen, Geschäfte jeder Art, Kleider, gutgeschnittene Anzüge. An der rechten Gamasche hatte merkwürdigerweise ein Knopf gefehlt. Auch einen Freund hatte er. Sogar der Klenk hielt viel von ihm. Er war ein patenter Junge. Es war ein schieres Wunder gewesen damals an dem österreichischen See. So ein großes, blondes Mädchen. Schuld war, daß er sich um diesen Krüger zu wenig gekümmert hatte. Dann wäre ihm der Junge nicht erschossen worden. Der Hockende auf seinem Schemel schnupperte, er roch ganz deutlich den Geruch von Heu und Leder.
Als spät der Morgen heraufkam, hörte die Haushälterin Agnes den Dr. Geyer sprechen, allein, in einer fremden Sprache. Es war hebräisch. Der Reichstagsabgeordnete Geyer sprach Gebete, hebräische, Sterbegebete, auch Segenssprüche, mechanisch die Lippen bewegend, wie er sie von Kind her im Gedächtnis hatte. Denn Dr. Geyer entstammte einer jüdischenFamilie, die die Riten und Gebete hoch in Ehren hielt, und er hatte ein gutes Gedächtnis. Er sprach: »Wie die Blume verwelkt, wie das Gras verdorrt, welken wir aus dem Licht.« Er legte die Hand auf die kalte Schale der Schreibtischlampe, wie sein Vater ihm die Hand auf den Kopf gelegt hatte am Freitagabend beim Segensspruch, und sagte: »Gott lasse dich werden wie Ephraim und Manasse.« Auch sagte er: »Wir gedenken, daß wir Staub sind.« Es quälte ihn, daß nicht zehn Leute da waren, wie das Gesetz es vorschrieb. Es quälte ihn, daß er nicht am liturgischen Neujahrstag an ein fließendes Wasser gegangen war, wie das Gesetz es vorschrieb, und seine Sünden hineingeworfen hatte, auf daß der Fluß sie weitertreibe und ins Meer versenke. Nur dies hätte er zu tun brauchen, dann wäre der Junge nicht umgebracht worden.
So hockte der Abgeordnete Geyer den Tag über und aß nicht und wusch sich nicht und rasierte sich nicht und blieb in den gleichen Kleidern. Er trauerte um seinen Sohn Erich Bornhaak, der ein Held gewesen war im Krieg und der verkommen war im Krieg und der Hunde vergiftet hatte und Menschen erledigt, immer leicht gelangweilt, und der seinen Vater aufgefordert hatte, sich der Königsberger Blutprobe zu unterziehen, und der erschossen worden war an der Feldherrnhalle in München, um sich einen leisen Geruch von Heu und Leder und dicke Lächerlichkeit.
Die nächste Nacht schlief Dr. Geyer ein wenig. Am Morgen stellte er sich hin mit geschlossenen Füßen und wiegendem Oberkörper und sprach: »Geheiligt und gerühmt werde Sein Name.« Eigentlich sollte dies geschehen in Gegenwart von zehn erwachsenen Gläubigen. Er mußte es allein tun.
Auch diesen Tag über hockte er und aß nicht. Den Abend dann fuhr er nach München.
12
Der wasserlassende Stier
Der Schauspieler Konrad Stolzing kam zurück aus dem Städtchen an der oberbayrisch-schwäbischen Grenze, wo Rupert Kutzner in ehrenvoller Haft
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