Erfolg
jetzt sei es genug, das Spiel scheine sie zu langweilen. Er schob ihr einen großen Packen Geldscheine und Marken hin, erklärte, das sei ihr Anteil. Johanna sah auf, sehr überrascht; die Russin, gespannt, auffallend blaß, schaute von einem zum andern. Es war ein beträchtlicher Haufen Geldes, der vor Johanna lag. Auch wenn ihre berufliche Tätigkeit ihr Monate hindurch versperrt bleibt und der Aufenthalt in Garmisch noch so kostspielig wird, auf diese Art kommt sie nicht sobald auf den Boden ihres Kontos. Sie sah hinüber zu Hessreiter. Der stand krampfig unbeteiligt, einen Rest Geld noch in der Hand; sein Schläfenbart zuckte leise. Er gefiel Johanna sehr, er hatte eine gute Art, Geld zu geben.
Dann, durch die helle, eiskalte Nacht, begleitete er sie den kurzen Weg in ihr Hotel. Die Insarowa stand am Fenster des Spielsaals, schaute ihnen nach. Sie sah hohlwangig aus, müde. Neben ihr stand Herr Pfaundler, sprach auf sie ein. Seine kleinen Mausaugen aus dem wulstigen Schädel wandelten emsig ihren schmächtigen Leib auf und ab.
Ein Mann kam vom Hotel her, Hessreiter und Johanna entgegen. Unförmig, in dem dicken Pelz doppelt massig, ging er vor sich hin, allein durch die lichte Schneenacht, mit Schritten, die für seine schwere Gestalt krampfig lebhaft waren. »Der Fünfte Evangelist«, flüsterte Herr Hessreiter grimmig. »Der kocht hier eine Schweinerei aus mit einem von diesen Kohlenbazis von der Ruhr.« Johanna sah in dem blassenLicht über dunkelbraunem Pelz undeutlich ein fleischiges Gesicht, Oberlippe, dicken, schwarzen Schnurrbart, vorgewölbt. Herr Hessreiter machte eine unsichere Bewegung nach dem Hut, als wolle er den Mann grüßen. Aber der sah ihn nicht oder erkannte ihn nicht, und Herr Hessreiter unterließ den Gruß.
Schweigsam neben Johanna ging er den Rest des Weges zum Hotel. »Also den Krüger heiraten Sie«, sagte er schließlich. »Eigentümlich, eigentümlich.«
12
Tamerlans lebendige Mauer
Johanna Krain suchte in Begleitung des Rechtsanwalts Geyer den Justizminister Heinrodt auf, der für kurze Zeit zur Erholung in Garmisch war. Dr. Heinrodt wohnte in keinem der großen, luxuriösen Hotels, sondern in der preiswerten, einfachen Pension »Alpenrose«, am Ende der Hauptstraße, die die beiden ineinander übergehenden Orte Garmisch und Partenkirchen durchzog.
Der Justizminister empfing seine Gäste in der kleinen Konditorei, die zu der Pension »Alpenrose« gehörte. Es war ein rauchiger Raum mit runden Marmortischen und Plüschbänken an den Wänden, durch einen großen Kachelofen überheizt. Die Mauern entlang liefen Ranken von Alpenrosen. Auf ihnen tanzten in steter Wiederholung Burschen mit grünen Hütchen, sich das Gesäß schlagend, den Schuhplattler , einen Stampftanz, um weitröckige Mädchen mit engen Miedern, sogenannte Dirndl . An den Marmortischen ringsum saßen Kleinbürger in zusammengestoppelter Winterkleidung, Schals, Lodenjoppen, Havelocks, fette Kuchen in Kaffee tunkend. Dr. Heinrodt war ein betulicher Herr mit Brille und mildem Vollbart; er hatte es gern, wenn man seine Ähnlichkeit mit dem angesehenen indischen Schriftsteller Tagorebestaunte. Er schaute den Kömmlingen lang und gütig ins Auge, half Johanna ihre Jacke abnehmen, klopfte Dr. Geyer freundschaftlich die Schulter. Dann saß man an einem der runden Tische in der Ecke auf der Plüschbank, Kaffee trinkend, halblaut sprechend, ringsum saßen andere Gäste, die, spannten sie nur das Ohr, hören konnten.
Johanna redete wenig, mehr der Anwalt Dr. Geyer, am meisten der Reichsjustizminister. Er zeigte sich als Mann von erstaunlicher Belesenheit, er hatte die meisten Schriften Dr. Krügers gelesen, er schätzte ihn sehr, bedauerte ihn unendlich. Gab zu, daß Martin Krüger mit großer Wahrscheinlichkeit unschuldig sei. Aber der Minister hatte einen weiten Gesichtskreis, er zog jeden Einzelfall ins Allgemeine, wo er sich rettungslos verflüchtigte. Johanna wurde müde, schlaff, gereizt bis zur Übelkeit durch diese tatenlose, alles verstehende Milde. Was sie aus den klugen, scharfsichtigen Deduktionen heraushörte, war dies: daß in vielen Fällen die Rechtssicherheit der Gerechtigkeit vorangehen müsse, daß Fälle denkbar seien, in denen einem Mann zu Recht unrecht geschehe, daß Macht, von Erfolg begleitet, Recht wirke, Summe: es sei oft wichtiger, daß ein Streit überhaupt als wie er beendet werde.
Der kleine Raum war überheizt; Menschen kamen, gingen; die Alpenrosen mit den grünbehuteten, weitrockigen
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