Erfolg
Einrichtung. Madame Mitsou erschien, sanft, gefällig, etwas verwundert. Sie wollte der heftigen Dame gern dienlich sein; aber sie verstand sie nicht recht. Endlich begriff sie. Es handelte sich um den freundlichen, dicken Herrn. War ihm etwas zugestoßen? Wünschte er, daß sie zu ihm komme? Alle Worte, die die Tante Ametsrieder im Lexikon nachgeschlagen hatte, erwiesen sich als unbrauchbar vor der stillen, mondlichen Heiterkeit Madame Mitsous. Frau Ametsrieder sprach schließlichüber Preise von Eßwaren und anderen Dingen des täglichen Bedarfs, wobei sich Madame Mitsou gut orientiert zeigte. Um nicht ganz unverrichteterdinge zurückzukehren, ließ sich die Tante die Adresse der Schneiderin geben, die Madame Mitsous wirklich scharmanten Kimono gemacht hatte. Sie wollte Johanna veranlassen, sich einen Kimono gleicher Art anfertigen zu lassen. Diese Adresse auf einem Zettel, in der großen, ungefügen Kinderschrift Madame Mitsous, kehrte Frau Ametsrieder zu Mittag in die Wohnung Hessreiters zurück.
12
Ein König im Herzen seines Volkes
Mit riesigen, goldenen Lettern verkündeten am Kirchenportal große, violette Plakate: nur eines sei not, die Seele zu retten. Viele Menschen folgten dem Ruf, junge und alte, Männer und Frauen, gutangezogene und zerlumpte. Denn das Elend war groß. Das Brot, das man zu erhöhtem Preis an die schimpfenden Käufer abgab, war noch fast warm, und schon kletterte der Preis noch höher. Es kostete die Semmel drei Mark, das Kilogramm Margarine vierhundertvierzig Mark, für Haarschneiden zahlte man achtzig Mark. Diese Zeit der Not und des Hungers nahm die Kirche wahr zu einer Generalattacke auf das Herz des Volkes, zu einer Mission . Einen Monat hindurch wurden alle Priester aufgeboten, die noch Stimme hatten, kundig für jede Kirche der rechte Mann.
Am beliebtesten in der Bevölkerung war ein Jesuitenprediger, ein jugendlicher, eleganter Herr. Schmeichelnd, donnernd, lieblich zuredend, schreckhaft drohend kam aus dem edlen Charakterkopf die geübte Stimme. Das fließende Predigerdeutsch wirkte doppelt dringlich durch einen leisen, anheimelnden, dialektischen Anklang. Viele hatten vor den Türen der Kirche umkehren müssen, Polizei hatte die Fluchenden beschwichtigt. Jetzt drang die geflügelte Stimme desPredigers in das Ohr der bekümmerten Hausfrauen, die nicht wußten, wie sie den Bedarf des nächsten Tages beschaffen sollten, der kleinen Rentner, der Drei-Quartel-Privatiers , die ihr Leben durch ihre Beziehungen zu den Bauern und durch ängstliche, kleine Schiebungen fristeten. Drang zu den gequälten Festbesoldeten, die sich von Gott einen Börsentip erhofften, ihnen über die nächsten vierzehn Tage fortzuhelfen. Zu den dicken Zwischenhändlern, die gern bereit waren, von ihren heute hochgeschwemmten, morgen zerfließenden Gewinnen der Kirche, falls sie sich nur konsolidierten, einen großen Teil abzugeben. Drang in das Ohr der alten, treuen, hungernden Beamten, sie bestärkend in ihrem Widerstand gegen die neue Zeit. Die ganze gedrängte, sommerlich schwitzende Menge hing hingegeben, andächtig stumpf an dem edlen, römischen Gesicht des Priesters mit der leicht gebogenen Nase und den gewölbten, braunen Augen. In Hitze, Schweiß, Weihrauch saßen sie, standen sie, füllten sie die helle, freundliche Kirche. Klebten die Augen an die schlichte, weiße Kanzel mit dem Jesuiten. Denn der war ein geübter Prediger, ausgezeichnet vorbereitet, mit geschickter Witterung für seine Hörerschaft, jede Augenblicksstimmung und jede Augenblickswirkung sorgfältig einkalkulierend. Er suchte sich einzelne Gesichter aus, von ihnen den Grad der Wirkung ablesend. Er hütete sich, dem einzelnen zu lang ins Auge zu schauen; denn er wußte, das verwirrt. Er zog es vor, sein gewölbtes Auge an die Stirn der Hörer zu heften oder an ihre Nasen.
Jetzt beschaute er wohlgefällig die Andacht auf dem breiten, hübschen Gesicht einer mittelgroßen, sauber angezogenen Frau. Es war aber diese Frau die Kassierin Zenzi aus der Tiroler Weinstube. Sie hatte Sinn fürs Ideale. Nach wie vor ließ sie gutgestellte Männer abfahren und bemühte sich um den Beni, den jungen Menschen im Hauptlokal. Der kam jetzt öfter in die Tiroler Weinstube statt in die »Hundskugel«; aber sie konnte es nicht fertigkriegen, daß er sich an einen der von ihr bedienten Tische in dem vornehmen Nebenzimmersetzte. Er hockte hartnäckig drüben im größeren Raum, beachtete sie überhaupt noch viel zuwenig. Wohl verbrachte er jetzt, wenn
Weitere Kostenlose Bücher