Erfolg
Kontrolle. Der Minister Flaucher, andächtig dem Jesuiten auf den Mund schauend, bat Gott, den geschreimäuligen Klenk vollends unschädlich zu machen, und gelobte sich, nach alter, bodenständiger Vätersitte zu wirken innerhalb seiner Grenzen, ad majorem dei gloriam alles zu sabotieren, was vom Reich kam.
Der Prediger ging jetzt über zu der entzügelten Wollust, die die Epoche kennzeichne, und erwies sich in dieser Provinz des Lasters nicht weniger bewandert als in den andern. Unter lautloser Aufmerksamkeit seiner Gemeinde sprach er von der verderblichen Unsitte, die Empfängnis zu verhüten. Es sei Todsünde, Vorkehrungen zu diesem Zweck zu treffen, jede durch so satanische Mittel unterdrückte Seele schreie nach Höllenstrafe für die ruchlosen Eltern. Er sprach von den Frauen, die aus sündiger Eitelkeit, nur um ihre Figur zu schonen, das Verbrechen begingen, und von denen, die es begingen aus Faulheit, aus sündiger Wehleidigkeit. Er sprach von den Männern, die das Verbrechen begingen aus mangelndem Gottvertrauen, weil sie die Not fürchteten, und verwies sie auf den Gott, der die Vögel unter dem Himmel nähret und das Gras auf dem Felde kleidet. Er schilderte, wie die Erfüllung der ehelichen Pflichten, werde sie getan, um Nachkommenschaft zu erzeugen, wohlgefällig sei in den Augen des Herrn, und wie sie zur wüsten Sünde werde ohne diesen Zweck. Anschaulich, kundig, ergreifend malte er die gottgefällige Lust am ehelichen Weibe, die teuflische an der Buhldirne.
Von diesem Teil seiner Predigt hatte sich der Pater eine besondere Wirkung versprochen. Er war enttäuscht, als er auf dem Gesicht, das er jetzt ins Auge faßte, eine gewisse Gleichgültigkeitwahrnahm. Der Prediger hatte ein falsches Gesicht erwischt. Denn vielleicht, trotzdem er der frömmsten und demütigsten einer war, bewegten die Bilder des Priesters unter all seinen Zuhörern gerade den Boxer Alois Kutzner am wenigsten. Der suchte anderes. Er hatte erreicht, was im äußeren Leben er erreichen konnte: er war ein Boxer von Klasse. Doch das genügte nicht. Er wollte Erleuchtung, ein Leben im Geiste. Sein Bruder Rupert Kutzner, der Führer, der hat es gut. Der hat die Erleuchtung gehabt, hat seine Bestimmung gefunden, hat seinen deutschen Gott in sich. Der Alois saß gern in seinen Versammlungen, ließ sich hintragen, gläubig, mit den andern Tausenden auf des Bruders großen, sieghaft schmetternden Sätzen. Es war herzwärmend zu sehen, wie des Bruders Licht leuchtete in der Finsternis, wie allmählich ganz München an seinen Lippen hing. Der Alois Kutzner war nicht neidisch auf seinen Bruder. Hätte gern auch auf den eigenen Glanz im Boxring verzichtet. Wenn bloß auch er sein inneres Licht fände. Er suchte und suchte, allein er fand nicht. Was da der Prediger sagte, nützte ihm auch zu nichts. Die Weiber waren kein Problem für ihn. Die Entsagung, die sein Trainer ihm auf die Seele band, fiel ihm nicht schwer; in Zeiten der Ruhe dann stürzte er sich mit dumpfem Hunger auf ein beliebiges Weib, leicht befriedigt. Was er brauchte, war anderes.
Nun war ihm in der letzten Zeit eine kleine, ferne Helligkeit aufgegangen. Ein junger Mensch, den er in der Redaktion des »Vaterländischen Anzeigers« getroffen hatte, war mit ihm ins Gespräch gekommen. Er war mit dem saubern Buben, einem wirklich feinen Hund, dann ins Restaurant gegangen, und da hatte ihm der Bub, ein gewisser Erich Bornhaak, eine Möglichkeit gezeigt. Er hatte sich nur auf Andeutungen beschränkt, war nicht recht aus sich herausgegangen. Er hatte wohl noch nicht das rechte Zutrauen zu Alois, das verstand sich. Später dann hatte er ihm einen andern geschickt, einen gewissen Ludwig Ratzenberger, ein ganz junges Bürscherl, verdächtig jung. Aber zu dem Unternehmen,um das die Buben herumwitterten, gehörte ungeheuer viel Courage und also auch Jugend. Soweit Alois begriffen hatte, handelte es sich darum, daß an einem gewissen Gerücht, das nun seit mehr als fünfunddreißig Jahren das bayrische Volk nicht schlafen ließ, etwas Wahres sei. Der vielgeliebte König Ludwig II., behauptete das Gerücht, sei noch am Leben. Dieser König Ludwig hatte, erfüllt von cäsarischem Souveränitätsgefühl, sich mit dem vierzehnten Ludwig von Frankreich identifiziert, in schwer zugänglichen Gegenden kostspielige, prunkvolle Schlösser aufführen lassen, hatte abseitige Kunstideale mäzenatisch gefördert, sich dem Volk pharaonenhaft ferngehalten und gerade dadurch dieses Volkes schwärmerische
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