Erfolg
Stadt München so mochten. Auch der Pröckl hatte sein Herz an München gehängt, und der Pfaundler, und der Matthäi, und die Kläre Holz, Menschen der verschiedensten Art, keine Blödiane.
Der Messerschmidt hatte aufgehört zu reden, auch die andern schwiegen. Es wurde allmählich unbehaglich, daß der Reindl so unter ihnen saß und konstant das Maul hielt. Sowieso schon war der Mann unbehaglich. Gewiß, er stammte aus einer Urmünchner Familie; tat er die Lippen auf, dann kam üppig die Mundart heraus, ein Münchnerisch, wie kein echteres gewachsen war rechts und links der Isar. Zweifelte jemand die wirtschaftliche Fähigkeit des bayrischen Südens an, dann sagte der Münchner voll Stolz: »Und unser Fünfter Evangelist?« Aber unheimlich blieb er doch, der Fünfte Evangelist. Wie er ausschaute, was er dachte, was er tat, war so unmünchnerisch wie möglich, man hätte ihn gern losgehabt.
Und der Fünfte Evangelist sprach noch immer nicht. Vielmehr hörte man jetzt aus dem Nebenzimmer die gemütlichen Stimmen der Herren, die dort ihr altfränkisches Spiel absolvierten, den Haferltarock , die Karten kräftig auf den Tisch schmeißend, die einzelnen Stiche mit kernhaften Sprüchen begleitend.
Am Tisch des Reindl jetzt sprach man von den Wahrhaft Deutschen. Ihre Bewegung, wie Gas, breitete sich aus, schon formierten sie reguläre Truppenkörper, hielten in aller Öffentlichkeit Übungen ab. Hatten Stab, ein richtiges Oberkommando. An der Spitze stand natürlich Rupert Kutzner. Er hieß allgemein der Führer . Gläubige drängten sich um ihn, Alte und Junge, Arme und Reiche, wollten den Retter sehen, brachten Geld, Verehrung. Der Geheimrat Dingharder von der Kapuzinerbrauerei erzählte, wie vor allem die Frauen an Kutzner hingen, wie sie sich begeisterten an seinem forschen Gesicht, seinem streng geführten Scheitel, seinem winzigenSchnurrbart. Besonderen Eindruck hatte dem Geheimrat die zittrige Stimme der alten Generalin Spörer gemacht, die versicherte, dieser Tag, da sie den Führer sehe, sei der beste ihres Lebens. Alle stimmten darin überein, daß in Bayern niemals jemand so populär gewesen war wie der Rupert Kutzner.
Herr von Reindl hörte dem Geschwätz zu, das träg, gleichmäßig hinrann wie der Regen. Der Dingharder hatte leicht reden. Infolge der Kutznerversammlungen waren die Säle des Kapuzinerbräukellers voll, und der gesamte Bierkonsum stieg. Der Reindl hatte ein fades Gefühl im Gaumen wie nach einer durchsoffenen Nacht. Er tat den Mund auf: er durfte es sich leisten, auch vor diesen Menschen gradheraus zu sagen, was er wirklich dachte. Vielleicht half ihm das über das öde Gefühl.
Warum die ganz Jungen dem Kutzner nachliefen, führte er aus, das sei klar. Sie wollten Abenteuer, sie wollten Räuber und Gendarm spielen. Sie freuten sich, wenn ihnen das Spielzeug geliefert werde, wenn sie eine Uniform kriegten und den Schießprügel und geheimnisvolle Postkarten, auf denen Gummiknüppel und Gewalt als »Radiergummi und Feuerzeug« bezeichnet würden. Mache man ihnen gar vor, ihre Spielerei sei eine vaterländische Tat und allen Gutgesinnten wohlgefällig, dann könne man sie hinkommandieren, wo man wolle.
Es seien aber nicht lauter Minderjährige unter den Anhängern des Kutzner, bemerkte nicht ohne Schärfe Geheimrat Dingharder. In München, gab der Reindl friedfertig zu, seien darunter auch viele Ausgewachsene. Ausgewachsene Kleinbürger nämlich. Im Grund habe sich der Kleinbürger immer nach einer Autorität gesehnt, nach jemandem, dem er andächtig gehorchen dürfe. Im Herzen sei er niemals Demokrat gewesen. Jetzt gehe mit dem Wert seines Geldes seine demokratische Tünche vollends dahin. In der steigenden Not repräsentiere der Kutzner den letzten Fels und Hort, des Kleinbürgers Idol: den Helden, den strahlenden Führer, dem man aufs großartige Wort wollüstig gehorcht.
In seiner stillen, behutsamen Art fragte Herr von Ditram: »Wenn also die Inflation aufhört, dann, glauben Sie, ist es mit den Wahrhaft Deutschen aus?« Der Fünfte Evangelist richtete seine gewölbten Augen aus dem blassen, fleischigen Gesicht auf den Ministerpräsidenten und sagte freundlich: »Gewiß. Aber keine Regierung kann, solange sich nicht die deutsche Schwerindustrie mit der internationalen verständigt, die Notenblähung aufhalten.« Alle hörten still und nachdenklich den verbindlich hochfahrenden Worten des Reindl zu. »Sie halten München für eine kleinbürgerliche Stadt, Herr Baron?« fragte Herr von
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