Erfolg
Insarowa, schmächtig, überzart angezogen, etwas puppig, saß im Wartezimmer des Dr. Moritz Bernays. Sie blätterte durch abgegriffene Zeitschriften, grell bebilderte Magazine, Fachzeitschriften über Gesundheitswesen; einmal fesselte sie eine farbige schematische Darstellung der Lunge mit ihren Verzweigungen, einmal, in einem Magazin, das Porträt einer Frau im Badeanzug mit einem Hund. Sie war auf vier Uhr bestellt gewesen; jetzt wartete sie bereits eine Stunde, und es schien, als würden vor ihr noch zwei andere Patienten vorgenommen. Schon war sie im Begriff zu gehen, nervös durch die Nüchternheit des Raums, die gespannte Langeweile der andern Wartenden. Aber sie brachte den Entschluß nicht auf, durchblätterte zum viertenmal die gleichen Hefte.
Um die Gesundheit der Tänzerin Insarowa stand es seit etlicherZeit nicht gut. Allein sie liebte es, sich treiben zu lassen, hatte Scheu vor einer ernstlichen Untersuchung. Ihre Freunde hatten lange drängen müssen, bis sie endlich im Wartezimmer des vertrauenswürdigen Dr. Bernays saß.
Dr. Bernays war leitender Arzt an einem staatlichen Krankenhaus gewesen, galt als erste Autorität in seinem Fach, war angesehen, gefürchtet, beliebt. Aber er hatte sich sonderbar benommen. Hatte etwa unterernährten Proletariern eine Diät verordnet, die Austern vorsah, Kaviar, geschabtes zartes Fleisch, Frühgemüse, hatte ihnen Margarine und jedes andere Ersatzmittel streng verboten. Das erstemal hatte man es für einen guten Witz gehalten, gelacht. Als er aber solche Verordnungen mit unbewegter Miene wiederholte, zehnmal, hundertmal, mußte man wohl einschreiten. Zur Rede gestellt, hatte Dr. Bernays auf die medizinischen Lehrbücher hingewiesen, die solche Kost in den fraglichen Fällen empfahlen, auch auf die Vorschriften, die Kollegen bemittelten Patienten zu geben pflegten. Vorsichtig auf die gottgewollten ökonomischen Unterschiede aufmerksam gemacht, hatte er unschuldig und ohne Schärfe erklärt, daß das Nationalökonomen angehe, Politiker, vielleicht auch Theologen, daß aber der Mediziner die Verpflichtung habe, den Patienten ohne Kleider und somit auch ohne Brieftasche zu untersuchen. Da er auf seinen Prinzipien beharrte, war er zum Verzicht auf seine Stellung veranlaßt worden. Durch diese Geschichte gesellschaftlich unmöglich, dazu unangenehm ruppig von Wesen, hatte er trotzdem guten Ruf in den Kreisen der Großkopfigen, viel Zulauf.
Nach kurzer Unterredung erklärte er der Tänzerin ohne Barschheit, doch sachlich höflich, ihr Leiden sei in vorgeschrittenem Stadium, er halte rascheste Übersiedlung in ein Tuberkulosensanatorium für angezeigt. Die Insarowa zog sich langsam an, ging langsam die besonnte Straße hinauf, hohlwangig, verträumt, mit klebenden Schritten. Sie war in einer süßen Benommenheit, fast befriedigt, daß sie jetzt wahrscheinlich sterben wird, sich jedenfalls gehenlassen durfte.
Im Theater, auf den Proben, gab sie sich sanft, schwermütig. Deutete an: Wenn ihr wüßtet! Verstummte dann, schwieg auf weitere Fragen. Pfaundler forderte sie auf, keinen Krampf zu machen, fragte sie, ob sie spinne. Er behandelte sie wieder schlechter in diesen letzten Tagen, da Klenk offenbar ausgespielt hatte. Die Insarowa blieb still, demütig, sprach niemandem von ihrer Krankheit.
Nur dem Klenk beschloß sie davon zu sprechen. Allein wiederum, als sie in das Haus des Ministers kam, wurde sie abgewiesen. Sie wütete nicht diesmal, nahm es still hin. Es war gut so, mochte das Schicksal auf sie einschlagen, je wütiger um so besser. Sie hatte für alles das gleiche, kleine, demütige Lächeln, das ihr gut zu Gesicht stand. Sie schrieb Klenk einen Brief, erzählte umständlich, der junge Orang-Utan des Tierparks sei von seiner Affenmutter in übergroßer Zärtlichkeit erdrückt worden. Sie sei die Tage her immer gegen Abend im Tierpark gewesen, habe an dem unheimlich liebenswerten kleinen Wesen sehr gehangen. Fünf Rippen seien ihm eingedrückt. In einer Nachschrift erzählte sie, Dr. Bernays habe fortgeschrittene Knochentuberkulose an ihr konstatiert.
Klenk lag jetzt schon die vierte Woche immer in der gleichen Schwäche, in leichter Benommenheit. Er hatte den vertrauenswürdigen Dr. Bernays hinausgeschmissen, da ihm seine einsilbige Sachlichkeit zuwider war. Doch Frau Klenk ruhte nicht, bis man den unangenehmen Arzt wieder zuzog. Der verordnete wortkarg die alte Diät. Er hielt dafür, aber das äußerte er nicht, daß Klenks Heilung vor allem durch seine
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