Erfuellung
tief, und es hörte sich fast wie ein Schluchzen an. »Ich muss unbedingt mit dir reden.«
»Okay.« Ihr Ton schnürte mir die Kehle zusammen. Es gefiel mir gar nicht, dass meine Mutter so aufgebracht war. »Sollen wir uns irgendwo treffen?«
»Clancy und ich holen dich ab. Du machst um zwölf Mittagspause, richtig?«
»Ja, ich warte unten an der Straße.«
»Schön.« Sie stockte. »Ich hab dich lieb.«
»Ich weiß, Mom. Ich hab dich auch lieb.«
Wir legten auf, und ich starrte lange auf das Telefon.
Wie würde es jetzt mit meiner Familie weitergehen?
Ich schickte Gideon eine kurze SMS, um ihm mitzuteilen, dass ich mittags verhindert sein würde. Ich musste die Beziehung zu meiner Mutter wieder in Ordnung bringen.
Offenkundig würde ich diesen Tag nur mit einer gehörigen Portion Kaffee bewältigen können. Ich stand auf und ging mir Nachschub holen.
Um Punkt zwölf verließ ich meinen Schreibtisch und fuhr mit dem Aufzug in die Eingangshalle hinunter. In den vergangenen Stunden war meine Vorfreude darauf, mit Gideon zu verreisen, immer mehr gewachsen. Ich wollte weg von Corinne, von Deanna und von Brett.
Ich war gerade durch das Drehkreuz der Sicherheitskontrolle gegangen, da sah ich ihn.
Jean-François Giroux stand an der Anmeldung und sah ausgesprochen europäisch und sehr attraktiv aus. Sein gewelltes dunkles Haar war länger, als ich es von Fotos her kannte, sein Gesicht war weniger gebräunt und sein Mund härter und von einem gestutzten Ziegenbart eingerahmt. Auffälliger wirkte in natura allerdings das Hellgrün seiner Augen, die im Moment jedoch vor Müdigkeit rot unterlaufen waren. Der kleinen Reisetasche neben seinen Füßen nach zu urteilen, schien er direkt vom Flughafen zum Crossfire Building gefahren zu sein.
» Mon Dieu . Wie langsam sind die Fahrstühle in diesem Gebäude denn?«, fragte er den Sicherheitsmann mit schneidendem französischem Akzent. »Es ist doch unmöglich, dass es zwanzig Minuten dauern soll, vom obersten Stockwerk herunterzukommen.«
»Mr. Cross ist bereits unterwegs«, erwiderte der Wachmann stoisch, ohne sich aus seinem Stuhl zu erheben.
Als hätte er meinen Blick gespürt, schnellte Giroux plötzlich herum und musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. Er stieß sich vom Empfangstresen ab und kam auf mich zu. Der Schnitt seines Anzugs war enger als bei Gideon, schmaler an der Taille und an den Waden. Mein erster Eindruck von ihm war: zu ordentlich und zu streng. Er schien mir ein Mann zu sein, dessen Macht darauf gründete, unbarmherzig Regeln durchzusetzen.
»Eva Tramell?«, fragte er. Ich war verwundert, dass er meinen Namen kannte.
»Monsieur Giroux.« Ich bot ihm meine Hand an.
Er ergriff sie und beugte sich zu meiner Verblüffung vor, um mich auf beide Wangen zu küssen. Flüchtige, oberflächliche Küsse zwar, aber darum ging es nicht. Selbst für einen Franzosen war dies eine zu vertraute Geste von jemandem, der mir doch vollkommen fremd war.
Er trat einen Schritt zurück, während ich ihn erstaunt ansah.
»Hätten Sie Zeit, sich mit mir zu unterhalten?«, fragte er, ohne meine Hand loszulassen.
»Ich fürchte, heute wird das nicht möglich sein.« Behutsam entzog ich mich seinem Griff. Diese riesige Halle voll umherlaufender Menschen bot zwar eine gewisse Anonymität, doch angesichts einer überall lauernden Deanna konnte ich gar nicht vorsichtig genug sein, mit wem ich gesehen wurde. »Ich habe eine Verabredung zum Lunch, und nach Feierabend muss ich sofort weg.«
»Dann morgen vielleicht?«
»Ich werde das ganze Wochenende nicht in der Stadt sein. Montag wäre der früheste Termin.«
»Nicht in der Stadt? Fahren Sie mit Cross weg?«
Ich legte den Kopf schief, betrachtete ihn aufmerksam und versuchte, aus ihm schlau zu werden. »Das geht Sie nun wirklich überhaupt nichts an, aber so ist es, ja.«
Ich sagte ihm die Wahrheit, damit er wusste, dass es eine Frau in Gideons Leben gab und dass diese wohlgemerkt nicht Corinne war.
»Macht es Ihnen denn gar nichts aus«, sagte er, und sein Ton wurde merklich kühler, »dass er meine Frau dazu benutzt hat, Ihre Eifersucht zu erregen, um Sie so zurückzugewinnen?«
»Gideon schätzt die Freundschaft mit Corinne. Freunde treffen sich nun mal.«
»Sie sind blond, aber ganz sicher nicht so naiv, das wirklich zu glauben.«
»Sie sind gestresst, aber ganz sicher wissen Sie genau, dass Sie sich hier gerade wie ein Arschloch aufführen.«
Ich spürte Gideons Anwesenheit, noch bevor er die Hand auf
Weitere Kostenlose Bücher