Erfuellung
Megumi kleidete sich immer in kühne, auffällige Farben und Schnitte. Ich beneidete sie um ihre Fähigkeit, stets richtig zu kombinieren.
»Ich weiß.« Ich lächelte. »Es ist so schön, jemanden so glücklich zu sehen.«
»Glück ohne schlechtes Gewissen. Im Gegensatz zu dieser Eiscreme.«
»Was macht das schon, wenn man hin und wieder mal sündigt?«
»Das macht einen fetten Arsch!«
Ich stöhnte. »Danke, dass du mich daran erinnerst, dass ich heute Abend ins Fitnessstudio muss. Ich habe seit Tagen keinen Sport mehr getrieben.«
Wenn man die Matratzengymnastik mal außer Acht ließ …
»Wie schaffst du das, dich ständig zu motivieren?«, fragte sie mich. »Ich weiß, dass ich auch Bewegung brauche, aber ich finde immer wieder eine Entschuldigung, es nicht zu tun.«
»Und trotzdem hast du eine so tolle Figur?« Ich schüttelte den Kopf. »Du machst mich krank.«
Ihre Lippen zuckten. »Wo trainierst du denn?«
»Ich gehe sowohl in ein normales Fitnessstudio als auch in ein Krav-Maga-Studio in Brooklyn.«
»Gehst du nach der Arbeit oder vorher?«
»Danach. Ich bin absolut kein Morgenmensch«, sagte ich. »Der Schlaf ist mein Freund.«
»Hättest du was dagegen, wenn ich irgendwann mal mitkomme? Von diesem Krav-Dings hab ich noch nie gehört, aber in welches Fitnessstudio gehst du denn?«
Ich schluckte etwas Eis mit Schokolade herunter und wollte gerade antworten, als ich ein Telefon klingeln hörte.
»Willst du nicht drangehen?«, fragte Megumi, und da wurde mir erst klar, dass es sich um mein eigenes Telefon handelte.
Es war das Notfalltelefon, deshalb hatte ich nicht auf den Klingelton reagiert.
Ich holte es schnell aus der Tasche und meldete mich mit einem atemlosen »Hallo?«.
»Mein Engel.«
Eine Sekunde lang genoss ich den Klang von Gideons rauer Stimme. »Hey. Was ist los?«
»Meine Anwälte haben mich gerade informiert, dass die Polizei vielleicht einen Verdächtigen ausfindig gemacht hat.«
»Was?« Mein Herz setzte aus. Mein Magen rebellierte gegen das Mittagessen. »O mein Gott.«
»Sie verdächtigen nicht mich.«
Ich erinnerte mich später nicht mehr, wie ich ins Büro zurückgekommen war. Als Megumi mich noch einmal nach dem Namen meines Fitnessstudios fragte, musste sie das zweimal tun. Noch nie im Leben hatte ich solche Angst gehabt. Sie war umso vieles schlimmer, wenn man sie um eines geliebten Menschen willen empfand.
Wie um alles in der Welt konnte die Polizei jemand anderen verdächtigen?
Ich hatte das schreckliche Gefühl, dass sie Gideon nur aufscheuchen wollten – oder mich. Wenn das tatsächlich ihre Absicht war, dann funktionierte es. Zumindest bei mir. Gideon hatte bei unserem kurzen Gespräch ruhig und beherrscht geklungen. Er hatte mich gebeten, mich nicht aufzuregen. Er hatte mich einfach nur warnen wollen, dass die Polizei mir vielleicht weitere Fragen stellen würde. Oder auch nicht.
O mein Gott. Ich ging langsam zu meinem Schreibtisch zurück, meine Nerven lagen blank. Ich hatte das Gefühl, eine ganze Kanne Kaffee getrunken zu haben. Meine Hände zitterten, und mein Herzschlag ging viel zu schnell.
Ich setzte mich und wollte mich wieder auf die Arbeit konzentrieren, aber es klappte nicht. Ich starrte auf den Monitor, ohne irgendetwas zu sehen.
War es möglich, dass die Polizei tatsächlich einen Verdächtigen hatte, der nicht Gideon war? Was sollten wir dann tun? Wir konnten nicht zulassen, dass ein Unschuldiger für uns ins Gefängnis ging.
Und doch gab es da die winzige Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, dass Gideon in Sicherheit wäre, sobald ein anderer des Mordes verurteilt wurde.
Bei diesem Gedanken fühlte ich mich augenblicklich schlecht. Mein Blick wanderte zu dem Foto meines Vaters. Er stand uniformiert neben seinem Dienstwagen, ein schneidiger, gut aussehender Mann.
Ich war so verwirrt, so voller Angst.
Als mein Smartphone auf dem Tisch vibrierte, zuckte ich zusammen. Dads Name und Nummer erschienen auf dem Display. Ich meldete mich schnell.
»Hey! Wo bist du?«
»Cincinnati. Ich steige gerade in eine andere Maschine.«
»Warte kurz, dann schreibe ich mir auf, wann und wo du landest.« Ich schnappte mir einen Stift und notierte die Details, die er mir durchgab. »Ich hole dich ab. Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.«
»Ja … Eva. Süße.« Er seufzte tief. »Ich bin bald da.«
Er legte auf, und die darauf folgende Stille war ohrenbetäubend. Mir wurde klar, dass er unter heftigen Schuldgefühlen litt. Seine Stimme
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