Erhört: New Tales of Partholon 4 (German Edition)
dicht und grau um sie. Sie pustete dagegen, und die trübe Farbe veränderte sich und schimmerte jetzt in einem Hauch von Rot.
Der Nebel lockte sie und wirbelte in einem unendlichen Muster um sie herum, das sie an eines von Eponas Labyrinthen aus Ilexhecken erinnerte, die das Tempelgrundstück zierten. In ihrem Traum musste sie wegen des Vergleichs mit etwas Vertrautem lächeln. Sie streckte die Arme aus und spreizte die Finger. Langsam fing sie an, sich um die eigene Achse zu drehen, und als der Nebel ihre Haut streichelte, merkte sie, dass sie nackt war.
„Elphame …“ Die körperlose Stimme schwebte im Nebel. Es war die Stimme eines Mannes, doch sie erkannte sie nicht.
„Komm zu mir, Elphame …“
Anstatt sie zu beunruhigen, berührte diese unbekannte Stimme etwas tief in ihrem Inneren. Ihr Körper reagierte mit einer plötzlichen Hitzewallung. Die Feuchtigkeit des um sie streichenden blutroten Dunstes leckte über ihre Haut und rief Gefühle in ihr wach, von deren Existenz sie bisher keine Ahnung gehabt hatte. Der Nebel wurde dichter, und mit ihm nahm ihre Sehnsucht zu.
„Ja …“ Die Stimme des Mannes lockte verführerisch. „Lass mich dich lieben.“
Elphame war in ein hauchdünnes Netz gehüllt, und wo immer es ihre Blöße berührte, erwachte ihr Körper zum Leben. Nein, dachte sie mit wachsendem Erstaunen, ich bin nicht in ein Netz gehüllt. Sie wurde von Flügeln umfangen.
„Er hat Flügel!“, sagte sie laut, und der Klang ihrer eigenen Stimme ließ sie abrupt erwachen.
In den dunklen Wäldern nördlich der Burg MacCallan schreckte Lochlan aus der Hocke hoch. Er war sofort hellwach, denn sein Körper brannte vor Verlangen. Er hatte geträumt, er sei mit Elphame zusammen, und zum ersten Mal hatte sie im Gegenzug seine Gegenwart gespürt. Er sprang aus dem Unterschlupf, den er sich in der aus rauen Felsmauern bestehenden Höhle gebaut hatte, breitete seine pulsierenden Flügel aus und machte sich an den langen, beschwerlichen Aufstieg die Klippen hinauf. Irgendwie musste er sein aufgestautes Verlangen loswerden.
Sein Geist brannte. Der Schmerz in seinem Kopf war so heiß, dass er dachte, sein Gehirn würde implodieren, aber er ließ nicht nach und konzentrierte sich weiter darauf, seinen kraftvollen Körper nach oben zu bewegen, bis der Schweiß in Strömen floss und sein Atem nur noch stoßweise ging.
Er hatte so lange gelebt – einhundertfünfundzwanzig Jahre. Sie war ein Fluch, diese lange Lebensdauer, die ihm und den anderen jeweils von ihrem fomorianischen Vater vererbt worden war. Wer wusste, wie lange sein Herz noch schlagen und das dunkle Blut seines Vaters mit dem verführerischen Wahnsinn durch seine Adern pumpen würde? Der Kampf. Dieser ständige Kampf schwächte ihn.
Gib nach, zischte der Schmerz in ihm. Hör auf zu kämpfen. Ergib dich dem Wahnsinn. Schwelge in der Macht, die du befehligen kannst. Lochlan könnte dem Schmerz sofort ein Ende setzen, indem er sein dunkles Erbe mit offenen Armen annahm. Er biss die Zähne zusammen. Dann würde er so werden wie alle von der Rasse seines Vaters. Er wäre nicht besser als ein tollwütiges Tier oder ein Dämon. Beide Beschreibungen wären zutreffend.
Er wollte mehr – für sich und für sein Volk.
Elphame … Ihr Name war wie kühles Wasser auf seiner ausgedörrten Seele.
Sie hatten sich im Reich der Träume getroffen, dessen war er sicher. Sie hatte seine Stimme gehört und sich ihm geöffnet. Er hatte sie mit seinen Schwingen umfangen und sie gestreichelt. Sie hatte ihn erkannt. Sie hatte zumindest einen Teil dessen, was er war, wiedererkannt. Er hatte es sie deutlich sagen hören.
Er hat Flügel!
Elphames Stimme hallte noch in ihm nach, und das Erstaunen in ihr erfüllte ihn mit Hoffnung und unaussprechlicher Freude. Das machte es leichter, den Schmerz in seinem Inneren zu ertragen.
11. KAPITEL
Spuren des Traumes hingen Elphame den gesamten Morgen über nach. Sogar noch am späten Nachmittag ertappte sie sich dabei, dass sie in die Ferne starrte und sich an die zärtlichen Berührungen des rot gefärbten Nebels erinnerte. Durch einen dieser Tagträume verpasste sie, was ein Arbeiter gerade zu ihr sagte.
„Das wär’s dann, Herrin.“
„Tut mir leid, ich war mit meinen Gedanken gerade woanders. Kann es repariert werden?“ Ihre Unaufmerksamkeit ärgerte Elphame. Es war doch nur ein Traum gewesen. Wie dumm von ihr, sich davon so ablenken zu lassen.
„Wie gesagt, es ist eine Menge Arbeit, aber ich glaube, es ist
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