Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gullivers Reisen
Vom Netzwerk:
verlassen. Daran war kein wahres Wort. Sie besuchte mich nicht öfter, als es die anderen Damen vom Hofe taten. Und wenn wir uns unterhielten, stand immer auch ihre Kutsche auf meinem Tisch, und der Kutscher hielt die Pferde. Schon deshalb wäre es unmöglich gewesen, Heimlichkeiten auszutauschen.
    Doch Gerüchte sind hartnäckig. Flimnapp sperrte seine Frau zu Hause ein und verlangte, daß man mir den Prozeß mache. Noch sträubte sich der Kaiser. Erst nachdem ich den Brand im Palast gelöscht hatte, war er einverstanden. Doch das ist ein Kapitel für sich.
BRENZLIGE GESCHICHTEN
    Wenn man sich seine Feinde nur durch Übeltaten erwürbe, wäre das Leben einfach. Dann wäre alles im Lot, falls man nichts Böses täte. Doch auch durch Wohltaten schafft man sich Feinde. Und das erst macht das Leben schwer. Man hilft ihnen, und womit bedanken sie sich? Mit Undank. Weil ich ihm einen Krieg erspart hatte, war mir der Kaiser gram. Und weil ich den Palast rettete, haßte mich die Kaiserin. Daß die Art und Weise, wie ich den Brand löschte, nicht sehr fein war, weiß ich selber. Doch es blieb mir keine Wahl. Andernfalls wäre bestimmt der ganze Palast, vielleicht die gesamte Hauptstadt ein Raub der Flammen geworden. Doch ich will es der Reihe nach erzählen. Im Palastflügel der Kaiserin war eine Hofdame beim Lesen eines spannenden Romans fest eingeschlafen. Ein Windzug hatte die brennende Kerze umgeworfen. Bald brannten die Vorhänge, das Bett und die Möbel, und ehe es jemand bemerkte, brannten zwei Stockwerke und das Dach. Nun wurde die liliputanische Feuerwehr alarmiert. Die Löschzüge sausten klingelnd durch die Stadt. Leitern wurden angelegt. Wasser wurde gepumpt. Eimer wurden nach oben gereicht. Aber die Leitern waren zu kurz, die Eimer zu klein, und das Wasser wurde knapp.
    Leider entschloß sich der Kaiser erst jetzt, mich durch Stafetten wecken und holen zu lassen. Ich stieg, wie beim ersten Besuch, wieder beim Westtor über die Stadtmauer. Die Bevölkerung drängte sich in den Straßen, und wenn nicht Vollmond gewesen wäre, hätten meine Schuhe viel Unheil anrichten können. So aber sah man meinen Schatten im Mondschein, und alles rannte in die Häuser. Schließlich stand ich im Innenhof und blickte auf den brennenden Dachstuhl hinunter. Was konnte ich tun? Mit meinem Rock hätte ich die Flammen ersticken können, doch ich hatte ihn, wie beim ersten Besuch, wegen der langen Rockschöße im Tempel gelassen.
    Zunächst bückte ich mich und spuckte ins Fenster, und schon das war nicht fein. Ein Kavalier spuckt nicht auf Paläste, auch nicht, wenn sie brennen. Schlimmer war, daß die Spuckerei nichts half. Die Flammen griffen bereits auf den Hauptpalast über. Ich war ratlos. Da, mit einem Male, kam mir der rettende Gedanke! Und weil es keinen anderen Ausweg gab, führte ich den Plan aus. Liebe Leser, ich möchte mich so vornehm wie möglich ausdrücken, um euer Feingefühl nicht zu verletzen. Nun denn: Ich tat, was kleine Jungen, wenn sie viel Limonade getrunken haben, hinterm Haus oder im Walde tun. Ihr habt es schon erraten? Ganz recht! Und was sämtlichen Löschzügen der hauptstädtischen Feuerwehr nicht gelungen war, dem Schiffsarzt Gulliver, einem einzigen Menschen, gelang es! Die Flammen wurden kleiner und kleiner. Das Feuer erlosch. Der Palast, bis auf den Flügel der Kaiserin, war gerettet, und die Stadt Mildendo dazu! Der Palast und die Stadt waren gerettet. Und ich? Ich war, ohne es zu ahnen, verloren. Ich hatte das Feuer auf meine Weise gelöscht, weil es anders nicht zu löschen gewesen wäre. Daß die Methode nicht ganz stubenrein war und mir von zimperlichen Kreisen verübelt werden konnte, leuchtete mir ein. Ich rechnete ja auch nicht mit der Goldenen Rettungsmedaille, aber ebensowenig mit schnödem Undank. Ich hatte die Rechnung ohne die Kaiserin und ihre Hofdamen gemacht. Sie waren allesamt empört und beleidigt und sannen auf Rache. Die Gelegenheit dazu fand sich ohne große Mühe. Denn es gab ein altes Gesetz, wonach das, was ich getan hatte, in den Höfen des kaiserlichen Palastes bei Todesstrafe verboten war! Auf dieses Gesetz pochend, bestürmte die Kaiserin ihren Mann, mich unverzüglich köpfen zu lassen. Doch der Kaiser erklärte, was ich getan hätte, hätte ich nicht aus Übermut getan, sondern um Liliput zu helfen. Und über diesen ungewöhnlichen Fall stünde nichts im Gesetzbuch. Außerdem gäbe es im ganzen Lande nicht so viel Eisen, um daraus eine Axt zu schmieden, mit der man mir

Weitere Kostenlose Bücher