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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gullivers Reisen
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Plan aus. So konnte ich dem Kaiser, kaum daß er aus der Kutsche gestiegen war, nicht nur erzählen, was ich gesehen hatte, sondern auch, wie ich den drohenden Krieg beenden wolle, bevor er überhaupt ausgebrochen sei. Mein Plan leuchtete ihm ein, und er erteilte alle notwendigen Befehle. Schon nach zwei Stunden trafen Dutzende von Lastwagen ein, und man lud neben mir Schiffstaue und Eisenstangen ab. Zwar waren die Taue dünn wie Zwirnsfäden und die Stangen nicht dicker und länger als bei uns daheim die Nähnadeln. Aber ich wußte mir zu helfen. Ich drehte so viele Taue zusammen, bis sie stark genug waren. Mit den Eisenstangen machte ich es ähnlich, und an den Enden bog ich jedes Stangenbündel zu einem Haken. Nun verknotete ich jeden Eisenhaken in einer Hanfschlinge und gab mich erst zufrieden, als ich fünfzig solcher Enterhaken in die Rocktaschen stecken konnte. Endlich kam auch die Feuerwehr, die mein Taschenmesser aus dem Arsenal geholt und, auf vier Wagen festgebunden, mühsam durch den Großstadtverkehr bugsiert hatte. Ich steckte das Messer in die Hosentasche und wollte mich vom Kaiser verabschieden. Doch er sagte, ich solle ihn bis zur Küste mitnehmen. Ich nahm ihn also in die Hand und lief mit ihm querfeldein. Unterwegs hatten wir leider einen Aufenthalt. Beim Sprung über einen Wald war dem Monarchen die Krone vom Kopf gefallen, und er mußte lange suchen, bis er sie wiederfand. Und ich mußte lange warten. Doch was half’s? Man kann einen Kaiser, der seine Krone sucht, nicht mutterseelenallein im Wald lassen! Als wir an der Küste angekommen waren, setzte ich Seine Majestät in eine Düne und watete ins Meer hinaus. Das Wasser war, wie ich ja schon von meinem Schiffbruch her wußte, für menschliche Verhältnisse nicht sehr tief. Nur nach der halben Strecke mußte ich ein paar Meter schwimmen. Dann hatte ich wieder Grund unter den Füßen und kam der Insel näher und näher. Bald konnte ich den Kriegshafen mit bloßem Auge erkennen und holte den ersten Enterhaken aus der Rocktasche. Was sich die Bewohner der Insel und ihr Kaiser dachten, als da ein riesenhaftes, unheimliches Wesen aus dem Meere stieg und mit Siebenmeilenschritten auf sie zukam, konnte ich nur ahnen. Viel später, als ich sein Gast war, hat mir der Kaiser von Blefuscu Einzelheiten erzählt. Dreißigtausend Matrosen sprangen vor Schreck über Bord und schwammen ans Ufer. Dort standen sie dann, pitschnaß und wie gelähmt, hinter den Kaimauern und warteten auf höhere Befehle. Doch auch die nassen Kapitäne und Admirale taten nichts, als ratlos auf das Ungeheuer zu starren, für das sie mich hielten. Nachdem ich im Hafen angekommen war, bückte ich mich und befestigte den ersten Haken am ersten Kriegsschiff. Dann holte ich den zweiten Enterhaken aus der Rocktasche und machte ihn am zweiten Schiffe fest. Ich hatte schon dreißig Kriegsschiffe an der Leine, bevor man mich mit einem Hagel von Pfeilen überschüttete.
    Trotz des juckenden und stechenden Bombardements ließ ich mich nicht irremachen, vertäute die übrigen zwanzig Schiffe, so rasch und so gut es ging, packte die fünfzig Taue mit einer Hand, drehte dem Hafen und dem Pfeilhagel den Rücken und wollte mit der erbeuteten Flottille auf und davon. Aber ich kam nicht vom Fleck! Ich zog und zog. Die Schiffe schwankten und zitterten. Doch sie wichen nicht von der Stelle. Die Pfeile schwirrten. Die Pfeilspitzen brannten auf der Haut. Und ich stand im Wasser, als sei ich festgenagelt. Woran konnte das denn liegen? Endlich begriff ich, was los war: Die Schiffe waren noch verankert! Ich mußte wohl oder übel bei allen fünfzig Fahrzeugen die Ankertaue kappen! Und wenn ich mein Taschenmesser nicht dabeigehabt hätte, wäre ich ganz und gar ohne die feindliche Flotte nach Liliput zurückgekommen. Ich klappte das Messer auf, kniete mich ins Wasser und begann die Ankertaue durchzuschneiden. Das war ein mühsames Geschäft. Und als mir einer der Pfeile mitten ins Auge flog, hätte ich am liebsten alles stehen, liegen und schwimmen lassen. Der Augapfel brannte wie Feuer. Zum Glück fiel mir ein, daß sich in meiner Geheimtasche nicht nur das Fernrohr, sondern auch die Brille befand! Eiligst kramte ich sie hervor, setzte sie auf die Nase, und nun, da die Augen geschützt waren, gab ich nicht eher nach, als bis ich, mit der gesamten Kriegsflotte im Schlepptau, ins Meer hinauswatete. Halb Liliput erwartete mich am Ufer. Die Begeisterung war ungeheuer. Man hatte einen Krieg gewonnen, ohne ihn

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