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Erich Kastner

Erich Kastner

Titel: Erich Kastner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gullivers Reisen
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13. April 1702. landeten wir in England. Mary, meine Frau, und die beiden Kinder fielen vor Freude in Ohnmacht. Anschließend fielen sie mir um den Hals. Und dann zogen sie rasch die Trauerkleider aus, die sie seit Monaten trugen.
    Nachdem ich mich ein paar Wochen ausgeruht hatte, zogen wir auf den Jahrmärkten umher, zeigten der staunenden Welt mein niedliches Kleinvieh und verdienten eine Menge Geld. Doch das habe ich schon in der Vorrede erzählt.
    So ging es uns recht gut, und ich wäre gern daheim geblieben. Doch im August erhielt ich ein Schreiben der Ostindischen Handelsgesellschaft, worin sie mich an unseren Vertrag erinnerte und mir mitteilte, daß ich, da ich erfreulicherweise noch am Leben sei, im September auf dem Schiff mit dem Namen »Abenteuer« die nächste Reise antreten müsse. Mary und die Kinder wollten mich nicht fortlassen. Doch ein Vertrag ist nun einmal ein Vertrag, in England mehr noch als anderswo. Und so mußte ich wieder an Bord. »Es hilft nichts«, sagte ich zu Mary. »Und außerdem, das fühle ich, gibt es diesmal kein Unglück.« Wie sehr ich mich irren sollte, lest ihr im nächsten Kapitel.
    Als das Schiff die Anker gelichtet hatte, winkten wir einander zu. Mary und John und Betty standen am Kai und wurden immer kleiner, bis sie mir so klein vorkamen wie eine Frau und zwei Kinder aus Liliput oder Blefuscu. GULLIVERS REISE NACH BROBDINGNAG DER ERSTE UND DER ZWEITE RIESE
    Am Kap der Guten Hoffnung kamen wir, obwohl uns ein Orkan ziemlich zusetzte, mit einem blauen Auge davon. Immerhin entschloß sich der Kapitän, in einer Bucht zu überwintern, damit die Schiffszimmerleute ein Leck und andere Sturmschäden reparieren könnten. Erst am 26. März 1703 setzten wir wieder Segel. Nachdem wir die Straße von Madagaskar passiert hatten, gerieten wir erneut in einen schlimmen Sturm. Diesmal manövrierte der Kapitän noch glücklicher. Das Schiff erhielt kaum einen Kratzer. Aber die Meßgeräte waren in Unordnung geraten, so daß wir nicht mehr wußten, wo wir uns befanden. Noch bedenklicher war, daß unser Vorrat an Trinkwasser knapp wurde. Deshalb warfen wir, als wir am 16. Juni eine umfangreiche Insel entdeckten, sofort Anker und setzten ein Ruderboot mit leeren Fässern und Kanistern aus. Ich befehligte die Bootsmannschaft. Als wir an Land gegangen waren, sahen wir uns nach fließendem Wasser um. Da wir nichts fanden, ordnete ich an, daß wir getrennt landeinwärts gehen sollten, damit jeder auf eigne Faust Wasser suchen könne. Eine Stunde später wollten wir uns wieder am Boot treffen. Wenigstens einer von uns, sagte ich, werde schon einen Bach oder eine Quelle ausfindig machen.
    Nach einer Stunde vergeblichen Suchens kehrte ich zum Strand zurück. Aber das Boot war nicht mehr da! Ich blickte zu unserem Schiff hinüber, und dabei sah ich auch das Boot. Die Matrosen ruderten mit äußerster Kraft auf das Schiff zu, wo man wild durcheinanderlief und alle Vorbereitungen traf, das Boot einzuholen und die Anker zu lichten. Was für ein Unheil war im Gange? Was bedeutete der immense, unheimlich sich dem Boot nähernde Schatten auf dem Wasser? Ich blickte hoch und erstarrte! Noch heute rieselt mir ein Schauder über den Rücken. Was, glaubt ihr, sah ich? Einen Riesen!
    Einen Riesen? Einen zweibeinigen Kirchturm! Eine Kreatur, mindestens zwanzig Meter hoch! Mit Beinen wie Brückenpfeiler! Mit Armen wie Windmühlenflügel! Mit einem Gesicht wie ein Mensch, aber wie abscheulich und furchterregend in seiner Größe! Das Monstrum stapfte mit Siebenmeilenschritten ins Meer hinaus und wollte das Boot einfangen, als sei es, samt den Matrosen, nichts weiter als etwa ein erschrockener Hering. Ich wartete vor lauter Angst nicht ab, was mit dem Boot und dem Schiff geschähe, sondern machte kehrt und rannte, so rasch mich meine Füße trugen, vom Ufer fort. Erst viel später erfuhr ich, wie das Abenteuer ausgegangen war. Der Kapitän hatte einen wohlgezielten Kanonenschuß abfeuern lassen. Die von der Pulverhitze glühende Kugel war dem Riesen in den vor Staunen halboffenen Mund gefahren und hatte ihm die Zungenspitze verbrannt. Er war stehengeblieben, um die Kanonenkugel auszuspucken und die Zunge zu befühlen. Inzwischen wurde das Ruderboot an Bord geholt. Die Anker wurden gekappt. Und weil der Wind günstig war, konnte das Segelschiff in letzter Minute entkommen. Ich hatte mich, vor Erschöpfung und Furcht nur noch taumelnd, irgendwo auf die Erde geworfen. Als ich, wieder etwas ruhiger atmend, die Augen

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