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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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eine Hügellandschaft.
    »Schlaukopf.« Vor Ermattung wankte Erik an der Pinne. »Schick mir die Ablösung!« Der Freund sollte allein nach den Leuten im Frachtraum sehen. »Ich muss erst wieder Blut in die Arme bekommen.«
    Kniehoch schwappte die salzige, kalte Brühe in den Gräben rechts und links des Kielbaums. Die eingeteilten Bauern und Sklaven schöpften noch unermüdlich, Eimer wanderten von Hand zu Hand und wurden über der Reling entleert; zwar waren ihre Gesichter gezeichnet, doch nickten sie dem Lotsen zu, als wäre die Rettung allein sein Verdienst. Er rief einige Mägde zu sich: »Ihr sorgt zunächst für die Verletzten. Danach kümmert ihr euch ums Vieh!«
    Halb gebückt schob er sich unter die Plane, dort schlug ihm säuerlicher Geruch entgegen, ein Gemisch aus Kot und Erbrochenem. Langsam gewöhnten sich seine Augen ans Dunkel. Frauen krochen umher, sammelten Decken und Fellsäcke ein, versuchten, so gut es ging, wieder Ordnung zu schaffen. Kinder weinten, je tröstender die Mütter auf sie einsprachen, umso lauter wurde das Schluchzen. Tyrkir befragte eine Familie nach der anderen und stellte schließlich dankbar fest, dass hier unten bis auf Beulen und Hautrisse niemand ernstlich Schaden genommen hatte.
    Er fand Thjodhild noch an derselben Stelle, blass und erschöpft lehnte sie an der Wandung. »Kann ich euch helfen?« Die beiden Kleinen lagen Kopf an Kopf in ihrem Schoß. Leif kauerte neben ihr und umhalste einen Hund, trotz einer blutigen Schramme quer auf der Stirn lächelte er tapfer. »Wie viele Drachen waren es?«
    »Ich hab sie nicht gezählt.«
    »Den hier habe ich gerettet.« Der Fünfjährige kraulte das struppige Fell. »Ich allein.«
    »Das war sehr kühn von dir.«
    »Aber wir sind doch die Sieger, oder?«
    »Sag’s nicht so laut, mein Junge! Sonst rufst du die Unholde zurück.«
    Thjodhild griff nach der Hand des Freundes und hielt sie fest. »Noch nie hatte ich solche Angst.«
    »Für heute ist es vorbei.« Um sie aufzumuntern, setzte er hinzu: »Solange Erik das Schiff führt, kann uns kein Sturm etwas anhaben. Sei stolz auf deinen Wikinger!« Von draußen wurde nach ihm gerufen. »Jetzt solltest du versuchen, mit den Kindern etwas zu schlafen. Wer weiß, wie lange die See ruhig bleibt.«
    Beinah beschwingt kehrte er aufs Achterdeck zurück, noch halb auf dem Weg verkündete er: »Frauen und Kinder sind wohlauf!«
    Erik stand mit dem Rücken zu ihm breitbeinig am hoch geschwungenen Steven und starrte nach Osten übers Meer.
    »Auch Mannschaft und Fahrgäste. Nur ein Verletzter. Denke, morgen ist er wieder auf den Beinen.«
    Keine Antwort kam.
    »He, freust du dich nicht? Das Glück begleitet uns, wir sollten dankbar sein.«
    Weil der Hüne nicht einmal den Kopf wandte, trat er näher und blickte ihn von der Seite an. »Was ist los?«
    »Glück? Dankbar?« Mit einer großen Armbewegung wies Erik zu den Segeln seiner weit auseinander gerissenen Flotte. »Du kannst doch zählen, Schlaukopf? Also sag mir, wie viele Knorrs da auf uns zuhalten.« Seine Stimme wurde brüchig. »Und dann sag mir, dass ich mich irre. Sag es!«
    Viel zu schnell hatte Tyrkir die Aufgabe gelöst. »O ihr Götter«, flüsterte er und verbarg die breite Narbe unter seiner Hand, als müsse sie vor der Wahrheit geschützt werden.
    Vierzehn Schiffe, so angestrengt er auch den Horizont absuchte, es wurden nicht mehr, vierzehn, und vor dem Sturm fuhren noch fünfundzwanzig im Kielwasser des Reittieres. Auch ohne zu fragen ahnte er, was Erik aufwühlte. Fast dreihundert Menschen hatte Ran mit ihrem Netz geraubt, dazu Vieh und Proviant. »Vielleicht sind nicht alle Schiffe untergegangen. Vielleicht haben einige den Sturm überstanden und sind nur so weit abgetrieben, dass wir sie nicht sehen können.«
    »Wenn’s nur so wär.« Der Rote presste die Fäuste gegen die Stirn. »Ich war’s, der ihnen Grönland versprochen hat. Ein gutes Leben.«
    »Verflucht, hör auf damit!«, fuhr ihn Tyrkir an. »Das Unglück ist geschehen und es war nicht deine Schuld. Denke an die Überlebenden, an nichts sonst! Sie vertrauen dir, ich weiß es. Wenn du jetzt zweifelst, nimmst du ihnen jeden Mut und den benötigen sie bitter, solange wir auf See sind. Und haben wir die Küste erreicht, so wirst du erst recht beweisen müssen, wie fest du an unser Glück glaubst.«
    Scharf sog Erik den Atem ein. »Und du, Schlaukopf? Wie steht es mit dir?«
    »Nun ja.« Tyrkir zuckte die Achseln und zwang sich zu einem Grinsen. »Ich weiß, was ich

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