Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Mähne und versuchte ins bärtige Gesicht zu blicken. »Bitte sieh mich an. Bitte!«
Mit großer Ruhe drehte ihm Erik den Kopf zu. »Über das Erbe gibt es nichts mehr zu besprechen. Auch sonst bleibt uns nicht mehr viel Zeit, deshalb lass uns vergnügt sein, Sohn!«
Leif bebten die Lippen. Er suchte Hilfe bei seinem Lehrmeister. »Onkel, wohin reiten wir?«
»Hinauf zum Damm.« Ehe Tyrkir weitersprechen konnte, bekräftigte der Vater:
»So ist es, mein Sohn. Und wenn wir oben sind, dann werde ich bald ganz hinaufsteigen und mich im Saal der Götter mit süßem Met und Fleisch vom gesottenen Eber verwöhnen lassen.«
»Nein, Vater! Nein!« Voller Verzweiflung gab Leif seinem Pferd die Fersen und sprengte davon.
Erik seufzte. »Welch ein Glück hab ich heute. Die Frau verzeiht mir. Mein Sohn liebt mich. Ich kann zufrieden sein. Was meinst du, Schlaukopf?«
Tyrkir gab ihm keine Antwort.
Unterhalb der Hügel wartete Leif. Die Wangen noch nass, doch er weinte nicht mehr. »Musst du es tun?«
»Ja, solange ich noch selbst die Kraft dazu habe, nur wenn ich mannhaft sterbe, brauche ich nicht runter ins Totenreich der Hel. Und jetzt frag nicht länger!«
Sie schnürten seinen schweren Körper fest auf den Rücken des Hengstes, zogen und zerrten das Tier den steilen Pfad hoch und endlich hatten sie die Höhe erreicht.
Stöhnend hob der Hüne das Gesicht aus der Mähne. »Weg mit den Fesseln!« Mit dem linken Arm deutete er unter sich auf den schmalen Stichkanal zur Balkensperre. »Jedes Frühjahr muss das Geröll herausgeholt werden, sonst verstopfen in den Weiden die Wassergräben. Sorgt dafür!« Sein Blick glitt über den tiefblauen See und blieb jenseits am Bachzulauf und den steinigen Wiesenhängen haften. »Schlaukopf, du weißt, wohin ich möchte.«
Während Tyrkir das Pferd führte, blieb Leif an der abschüssigen Seite neben dem Vater. Immer wieder bemühte sich Erik, den Himmel zu beobachten.
»Was suchst du?«
»Den weißen Falken. Ich hatte gehofft, Göttin Freya würde mich abholen. Schade. Aber das macht nichts, ich treffe sie ja bald.«
Auf dem Platz oberhalb des Sees erreichten sie das Ziel. Hier hatte Erik sich zum letzten Male in seinen Waffen geübt, hatte sich für den übermächtigen Feind stählen wollen, der seine alte Welt mit dem Kreuz bedrohte.
Der Sohn kauerte sich auf Knie und Arme, behutsam half Tyrkir dem Freund, das eine Bein nach hinten über die Kruppe des Hengstes zu schieben und über den Rücken Leifs gelangte Erik schließlich aus dem Sattel. »Wie gut, dass ich nicht wieder raufmuss«, scherzte er.
»Bleib auf den Knien, Sohn! Dein Vater ist nicht mehr so groß wie früher.« Ohne Stock kam er zu ihm. Seine linke Hand tastete übers Haar und berührte die Stirn. »Auch wenn du mir den Heuchler ins Land gebracht hast, Junge. Du bist mein geliebter Erstgeborener, mein Leif der Glückliche. Mögen meine Götter und auch dein Gott dich beschützen. Nein, schau mich nicht mehr an. Setz dich ans Seeufer! Dort siehst du im Spiegel unsern Himmel.«
Zum letzten Mal gehorchte der Sohn dem Vater. Als er hinunterging, hoben sich träge zwei Raben und hüpften auf den nächsten Felsbrocken.
Tyrkir versuchte heiter zu bleiben. »Wenn Freya schon nicht kommt, so hat dir Odin wenigstens seine Kundschafter Hugin und Munin geschickt. Also beklage dich nicht!« Damit reichte er Erik den Stab.
»Eins noch, Schlaukopf. Bitte, lass mir wenigstens heute das letzte Wort!«
Das Scherzen erstarb. Stumm zog Tyrkir dem Hünen das Schwert aus der Gürtelschlaufe, bohrte es mit dem Griff in den Boden und sicherte den Stand der Klinge mit drei Steinen.
Abschied hatten sie schon in der Nacht genommen. Am Stock gestützt ging Erik näher, bis unter der gebeugten Brust die scharfe Spitze blinkte. »Ich bin froh, mein Freund, dass du an meiner Seite warst. Jetzt achte nur auf unsere Thjodhild! So ist es gut.«
Für einen Moment ruhten ihre Blicke fest ineinander, dann wandte Tyrkir sich ab. Ihm war, als stockte der Wind und setzte erst nach einem tiefen Seufzer wieder ein. Als die beiden Raben aufflatterten, dachte er, ja, bringt nur die Nachricht hinauf und kündigt Odin den tapfersten Kämpfer an.
Den Oberkörper tief nach vorn gesunken stand Erik da, gehalten von der Klinge, eine andere Stütze benötigte er nicht mehr. Er hatte die Lider geschlossen.
Tyrkir holte den Sohn vom Ufer ab. »Es ist gut so«, murmelte er. »Das lässt dein Vater dir noch sagen.«
Sie betteten ihn auf der Erde, das
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