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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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Wasser. Kaum war das dritte Signal verhallt, antwortete von fünfundzwanzig Schiffen ein nicht enden wollender Jubelschrei. »Auf nach Grönland! Unser grünes Land!«
    Halb wurden die Rahbäume am Mast hochgezogen, Befehle, und zugleich tauchten die Ruderblätter ein und furchten durchs kräuselnde Wasser.
    Am Ufer lachten Verwandte und Freunde, tauschten mit den Auswanderern noch Ratschläge und Versprechungen aus, als wäre die Trennung nur von kurzer Dauer. Bald schon aber erreichten sich ihre Worte nicht mehr und übrig blieben ihnen nur Winken und da wie dort Tränen, die jeder für sich allein zum Abschied vergoss.
    Thorbjörn Vifilsson sah mit Gudrid dem Auslaufen der Schiffe nach. Katla war es von ihm verboten worden. Sie hatte ihre Tochter am Vortag zum letzten Mal ankleiden dürfen, kein Lebewohl, bloß ein Kuss; um zu spielen, war Freydis mit dem kleinen Thorvald gerne an Bord gegangen und dort gab es so viel Neues, dass Schwester und Bruder später in eine Decke gerollt eingeschlafen waren.
    Als die Flotte das offene Meer erreicht hatte, drückte sich der Ost in die bunt gestreiften, eckigen Segel. Thjodhild stand am hoch geschwungenen Achtersteven und blickte zurück. Wurde die Landspitze auch rasch kleiner, der Schneefelsgletscher verlor noch nicht an Größe. Um die Schultern trug er Wolkenschleier, sein Haupt war goldbekränzt von der Morgensonne. Mit Hallweig hatte sie dem Unheimlichen einen Besuch abgestattet. Damals wollten wir Glück, doch du hast uns den Nebelball geschickt, der seine schwarzen Schlingarme nach uns ausstreckte. Und heute? Was gibst du uns mit auf die Fahrt? Nein! Jäh riss sie sich von seinem Anblick los. Ich will nichts mehr von dir. Der Gletscher besitzt keine Macht über Meer und Schiffe, beruhigte sie ihr Herz.
    Neben ihr hielt Erik die Steuerpinne. Vorn am Bugdeck beschäftigte sich Tyrkir mit dem kleinen, runden Holzbrett und dieser senkrecht in der Mitte stehenden Nadel, von der eingekerbte Striche wie Strahlen nach außen gingen. Eine wichtige, beinah heilige Aufgabe, das wusste Thjodhild. Sobald die Sonne höher stieg, würde er am Schattenfall der Nadel den Kurs bestimmen können, zumindest behaupteten es die Männer und das genügte ihr. Meine beiden Männer! Ja, wir sind endlich, endlich wieder zusammen. Im tiefer gelegenen Laderaum entdeckte sie zwischen anderen Kindern die rötlichen Locken ihrer Söhne neben den blonden Zöpfen der kleinen Freydis; und weit vor dem Drachenkopf, noch jenseits des Horizonts, da wartete Grönland und vielleicht eine Zukunft, in der das Glück nicht abwesend war.

 

    GRÖNLAND
    A m zweiten Tag wurde die Sonne zur eisfahlen Scheibe, der Wind kam aus Nordost und frischte gegen Mittag jäh auf. Gern hätte Tyrkir dem Freund mehr Schlaf gegönnt, jetzt zögerte er nicht länger und weckte ihn. »Ich fürchte, Ran will das Netz nach uns auswerfen.«
    Erik kroch unter dem Robbenfell vor, ein Dehnen des Rückens, ein kurzes, dafür aber heftiges Kratzen und Wühlen im roten Kopfgestrüpp, und sofort beobachtete er hellwach die wabernden, durchsichtigen Wolkenfetzen, seine Zunge schmeckte nach der Luft, dann löste er den Steuerknecht an der Pinne ab. »Wir bekommen harte See.«
    Nur eine Feststellung; ebenso sachlich gab er seine Befehle aus: Die Kampfschilde sollten in der Außenleiste verankert werden. Mit ihnen wurde nicht allein die Bordwand erhöht, sondern wurden auch gleichzeitig die Ruderpforten abgedeckt. Die Wachen an den Leinen fürs Rahsegel mussten auf sechs Mann verstärkt werden und jeder hatte sich mit einem Strick zu sichern. »Du verständigst nur die Mannschaft. Ich will noch keine Unruhe im Frachtraum.« Ohne Hast verließ der Knecht den erhöhten Steuerplatz.
    »Nun zu dir, Schlaukopf.« Er ließ von Tyrkir so lange eine gelbe Flagge schwenken, bis das Warnsignal auf dem nachfolgenden Knorr bemerkt und an die anderen weitergegeben wurde. Kein vorgeschriebener Kurs mehr, während des Sturms waren die Schiffsführer auf sich allein gestellt und konnten nur hoffen, die Hauptrichtung nicht ganz zu verlieren. »Jetzt bereite unsere Leute aufs Tanzfest mit den Wellentöchtern der Ran vor! Und verstau die Schattennadel gut, vorerst hilft sie uns nicht mehr.«
    »Wie schlimm wird es?«
    »Weiß nicht.« Erik rieb die Unterlippe an den Schneidezähnen. »Die Farbe des Wassers gefällt mir nicht. Kein Blau …«
    Zweifelnd hörten die Siedler dem Lotsen zu. Noch gab es Sonne, was konnte der Wind schon Schlechtes bringen? Jedoch

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