Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
beiseite und setzte langsam seine Füße auf den Boden. Er streckte Tyrkir den linken Arm hin. »Jetzt beweise, dass du die Kraft nicht nur im Kopf hast, und zieh mich hoch!«
Erst nach einigen vergeblichen Versuchen konnte der Schmächtige dem gebeugten Hünen zu einem sicheren Stand verhelfen. »Besser, du schonst dich noch etwas!«, spottete Erik und hüstelte, nachdem er wieder bei Atem war, setzte er hinzu: »Ruf zwei Knechte, die sollen mich ankleiden!«
Als Erik im pelzbesetzten Umhang, gegürtet mit seinem Schwert die Wohnhalle betrat und nach einem kräftigen Frühstück verlangte, blickte Thjodhild überrascht auf Tyrkir. »Ist euch der Met nicht bekommen?«
»Jeder Schluck war es wert«, versicherte er mit leiser Stimme.
Der Herr auf Steilhang aß wortkarg und voller Genuss. Die Speckstücke musste ihm seine Frau mundgerecht zerkleinern. Immer wieder bat er um einen neu gefüllten Becher Sauermilch.
Die sonderbare Heiterkeit zwischen den Freunden besorgte Thjodhild. »Was habt ihr vor?«
»Lange war ich nicht mehr oben.« Mit der linken Hand schob Erik das Schneidbrett in die Mitte der hell gescheuerten Tischplatte. »Es ist höchste Zeit für mich. Ich muss endlich an meinem Damm nach dem Rechten sehen.«
»Nein! Ich verbiete es«, sagte sie schnell, doch sein vorwurfsvoller Blick ließ sie einlenken. »Verzeih, du bestimmst. Aber wie willst du in deinem Zustand hinaufkommen?«
»Der Schlaukopf wird das Pferd führen.« Erik runzelte die Stirn. »Wecke den Sohn! Er muss uns begleiten.«
»Selbst für zwei Männer wird es immer noch schwer sein. Vor allem auf dem Rückweg.«
»Das sehen wir dann, Frau.«
Draußen vor der Wohnhalle standen die gesattelten Pferde. Die Sonne war im Osten über den Gletscher gestiegen und ihre Strahlen legten unten in der Bucht ein blutgoldenes Band. Auf den Stock gestützt betrachtete Erik eine Weile das Bild, dann trat er dicht vor sie hin und sein Gesicht war nah an ihrem. »Lange hab ich es nicht mehr gesagt. Danke! Ich mein, du hast mich gepflegt. Und auch so, du warst mir immer eine gute Frau. Ja, immer, auch in der letzten Zeit. Das wollte ich dir sagen, Frau.«
»Mein stolzer Erik.« Sie lächelte gerührt. »Ich will mich nicht beklagen. Jetzt nicht mehr.«
»Das ist gut.«
Mithilfe der Trittbank und geschoben von Leif und Tyrkir gelangte er in den Sattel. Trotz der Schmerzen rief er keuchend: »Heute wird’s ein guter Tag!« Damit schlug er leicht die Flanken seines gescheckten Hengstes und ritt, tief gebeugt über die Mähne, voraus. Der Sohn blieb dicht an der Seite des Vaters.
Als Tyrkir aufsaß, fasste Thjodhild ins Halfter seines Pferdes. »Verschweigst du mir etwas?«
Unmerklich schüttelte er den Kopf. »Erik will sein Glück finden.«
»Also Abschied?«
Es gab keinen Trost. Langsam trabte er an.
»Warte noch. Komm zurück!«
Jedoch ohne sich umzuwenden, ließ er das Pferd in leichten Trab fallen, bis er die beiden eingeholt hatte.
»Was meinst du, Schlaukopf?« Erik verlangte nach keiner Antwort, er sprach mit dem Sohn über das frische sprießende Gras, dachte laut nach, wie nass oder trocken der Sommer werden könnte. Und immer wieder sagte er dazwischen: »Was meinst du, Schlaukopf?« Als wollte er diesen Satz auskosten.
Erst gegen Mittag hatten sie die ausgedehnten Weiden durchquert. Vor ihnen ragten die Hügel und hoch oben zwischen den Felsen stand die Staumauer, an ihrem linken Rand sprühte der Wasserfall zu Tal. »Mein Werk ist geschafft!« Erik lachte hüstelnd. »In jedem Fall, Schlaukopf, bin ich eher damit fertig geworden, als du ein trinkbares Gesöff hergestellt hast.«
»Wein wird nun mal nicht aus Steinen gepresst«, gab Tyrkir zurück. »Aber die Beeren aus dem neuen Land …«
»Ach, lass nur. Wir wollen nicht wieder davon anfangen.« Unvermittelt wandte sich Erik an den Sohn: »Ehe ich es vergesse, Junge. Du sollst mein Nachfolger sein. Unsere Familie führen.«
»Das hat doch noch Zeit.«
»Willst du wohl dem alten Vater nicht ins Wort fallen«, scherzte er und wieder ernst fuhr er fort. »Ich habe deinem Ziehvater heute Nacht genaue Anweisungen gegeben. Frag ihn, wenn du nicht weiterkommst! Was allerdings den Hof betrifft, so wirst du dich mit deiner Mutter absprechen müssen. Und wir kennen ihren starken Willen. Also stell dich gut mit ihr, denn sie bestimmt, wann du das Erbe antreten darfst. Hast du mich verstanden?«
»Nein, Vater!« Hastig lenkte Leif sein Pferd näher. Er beugte sich tief über die
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