Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Augen erwachte das seltsame Licht und verlosch nicht mehr. Sie kitzelte seinen Rücken und Thorgils stakte eifrig auf seinen Spinnenfüßen vor ihr her, lachte wie ein blökendes Lamm und ruderte mit den Armen. Langsam, doch stetig näherten sie sich der engen Öffnung. Wenn er hinfiel, hob ihn Freydis wieder auf, lobte, wie schön er ging, und kitzelte den Jungen weiter zur Todeskante hin.
Da erschien Leif auf der rechten Steinmauer, entdeckte die beiden etwas unterhalb und war mit einem Satz in der Fallenschere, jagte hinunter. »Freydis!«
Ihr Kopf flog herum, gleich stieß sie den Jungen vorwärts. Thorgils fiel hin, kugelte über seinen Kopf, rollte, von ihr gestoßen, weiter.
»Freydis! Nein, nicht!«
»Verschwinde!«
Der Bruder schlug sie beiseite und warf sich dicht vor der Klippe über das nackte, wirbelnde Bündel, sofort raffte er es in seine Arme und stürmte mit ihm den Hang wieder hinauf.
Freydis verfolgte ihren Bruder. »Du Arsch!«, schrie sie außer sich. »Du elender Hundsfott! Gib mir das Balg zurück!«
Erst oben am Waldrand legte Leif seinen wimmernden Sohn ins Gras. Mit geballten Fäusten erwartete er die Schwester. Ihr Atem flog, das Gesicht war verzerrt, und kaum hatte sie ihn erreicht, da trat sie ihm zwischen die Beine, ihr Stiefel wurde vom Kittelstoff abgefangen.
Leif packte die Ferse, riss sie höher, und Freydis schlug mit dem Rücken ins Gras. Sofort war sie wieder auf den Füßen, fauchte und fasste den Pfeilschaft wie einen Dolch.
»Schwester.« Er streckte abwehrend die Hände aus. Zu mehr kam er nicht.
Mit einem wilden Fluch stürzte sie vor und stach nach seinem Unterleib. Im letzten Moment gelang es ihm, die scharfe Spitze zu packen, den Stoß abzulenken und ihr die Waffe zu entreißen.
Sie gab nicht auf, griff wieder an, da versetzte Leif ihr einen harten Fausthieb in den Magen.
Freydis krümmte sich, fiel auf die Knie, stöhnte, rang nach Luft und erbrach sich.
Fassungslos starrte der Bruder auf sie hinab.
»Du, du schlägst also doch Frauen«, stammelte sie zwischen Würgen und Husten. Erst nach einer Weile hob Freydis den Kopf. Keine Spur mehr von Wut oder Hass, in den braunen Augen stand Vorwurf und das Kinn zitterte. »So darfst du eine Frau nicht behandeln, das weißt du doch.«
Leif kauerte sich zu ihr.
»Nicht noch mal schlagen«, flehte sie.
»Nein, sei ganz ruhig.« Wachsam strich er ihr vorsichtig die Strähnen aus der Stirn. »Du bist krank.«
»Ach was.« Mit dem Ärmel säuberte sie das verklebte Kinn. »So hart hast du mich nicht getroffen.«
»Das meine ich nicht. Warum wolltest du Thorgils töten?«
»Ach, Brüderchen.« Träge legte sie sich auf die Seite und stützte den Kopf auf ihre Hand. »Weil ich helfen muss. Nein, nicht nur dir, unserer Familie. Bis gestern hatte ich geglaubt, dass du diesen Troll sofort beseitigst. Den ganzen Winter über war ich der Mutter zuliebe freundlich mit ihm. Er kann ja nichts dafür, dass er nichts wert ist. Und lustig war es auch mit ihm. Aber nur für die Tiere hab ich ihn angefüttert.«
Thorgils kam auf sie zugekrochen. »Tante.«
»Ja, ja, du Käfer.« Mit dem Finger kraulte Freydis in seinen Locken und seufzte: »Sieh dir das Balg doch richtig an. Ich weiß, die Mutter hält es mit dem Priester und der hat ihr eingeredet, dass Gott es verbietet. Aber was weiß der schon von unseren Bräuchen.« Freydis setzte sich auf und umschlang ihre Knie. »So ein Krüppel ist eine Schande für uns. Und da Vater nichts mehr sagt und du jetzt auch kneifst, bleibe allein ich übrig. In unserer Sippe darf es nur starke, gesunde Menschen geben. Wenn wir nicht aufpassen, haben wir sonst bald eine ganze Horde mit solchen Käsekugeln.«
Tief bestürzt schüttelte Leif den Kopf. »Nur ein Mann hat darüber zu entscheiden, ob ein Kind ausgesetzt wird. So befiehlt es der Brauch. Und ich habe mich entschieden.« Er drohte ihr mit dem Pfeil. »Dieser Junge wird als mein Sohn bei uns leben. Er mag schwach sein, aber nicht du, sondern Gott allein bestimmt seinen Tod. Hast du mich verstanden?«
Freydis hob die Brauen und grinste.
Zornig zerbrach Leif den Pfeil über seinem Knie. Er stutzte. Bisher war es ihm nicht aufgefallen, aber er hatte sich vorhin bei der Abwehr an der scharfen Spitze die Hand verletzt. Jetzt betrachtete er das Blut und nach einer Weile sah er die Schwester verblüfft an. »Als wir im letzten Jahr aus Norwegen kamen, da lag am nächsten Morgen ein Knecht hinter der Scheune. Er war mit dem Hals in einen
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