Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
schön, hätte Freydis gesagt und sie wolle mit Thorgils ins Grüne reiten.
»Reiten?«
»Ja, so hab ich’s verstanden. Freydis hat den Bub gefüttert und ihm von bunten Blumen erzählt. Er hat sie an der Nase gestreichelt, das macht er ja immer, wenn er sich freut. Ja, und dann sind beide zum Stall rüber. Hab ich was falsch gemacht, Herrin?«
»Nein, nein. Schon gut.« Langsam verließ Thjodhild das Frauenhaus. Schon oft hatte die Tochter den Enkel mitgenommen, um auf der Hauswiese zu spielen. Aus welchem Grund aber hatte sie nicht bis nach dem gemeinsamen Frühstück gewartet? Und warum war sie nicht in der Nähe geblieben? Thjodhild beschleunigte den Schritt. Vor dem Pferdestall erkundigte sie sich bei einem Knecht.
»Stimmt. Ich musste einen Braunen für die junge Herrin satteln.«
»Was noch? Erinnere dich genau!«
Er kratzte sich auf dem kahl geschorenen Kopf. »Sie hat den Kleinen vor sich gesetzt. Ach ja, dann hat sie noch gefragt, wo genau der Weidenhang liegt, auf dem wir die Mauern für die Rentierfalle gebaut haben. Ich hab’s ihr beschrieben und sie ist mit dem Jungen los. So lustig war die junge Herrin. So hab ich sie noch nie gesehen. Und der Kleine hatte auch seinen Spaß.«
Thjodhilds Herz verkrampfte sich. »Wie lange ist das her?«
»Gut eine Stunde«, hörte sie den Knecht noch in ihrem Rücken sagen und hastete zum Wohnhaus. Leif lag tief vergraben unter der Felldecke. Sie rüttelte ihn wach. »Steh auf. Bitte, beeil dich!«
Schlaftrunken taumelte der Sohn hoch.
»Deine Schwester hat Thorgils mit hinausgenommen.«
Er verstand nicht. »Ja und? Nach gestern Abend will sie ihren guten Willen beweisen.«
»Doch ich bin voller Unruhe. Gewöhnlich nimmt Freydis kein Pferd, sondern spielt mit Thorgils auf der Hauswiese. Ausgerechnet heute aber reitet sie mit ihm zu deiner Rentierfalle. Mag sein, dass ich mich irre, aber du musst nach den beiden sehen. Bitte!«
Leif starrte die Mutter an. »Dieser steile Hang ist bei Gott kein Spielplatz.« Und war wach. Nur die Stiefel, keine Zeit für Hose und Gürtel, während er hinausstürmte, streifte er sich ein Kittelhemd über, raffte es bis über die Knie und sprang auf ein ungesatteltes Pferd. Im wilden Tölt preschte er durch die blühenden Wiesen, bald schon hatte er die Wacholdersträucher erreicht und hetzte hinauf in die östlichen Hügel.
Die Sonne stand hoch im Mittag. Oberhalb des Hangs hockte Freydis am Rand des Birkenwaldes neben dem Kind. »Nun heb deine Ärmchen, du hässlicher Zwerg!«, säuselte sie und schob Thorgils das weiche Wollwams bis zum Hals hoch, weil der Kopf so riesig war, rollte sie den Wulst behutsam übers Gesicht. »Deine Käsekugel ist ja noch dicker geworden.«
Er fingerte nach ihrer Nase. »Tante … ist … lieb.«
»Das hast du sehr brav gelernt.« Freydis löste die Wickeltücher am Bauch und zog sie ihm durch die Beine. Für einen Moment zögerte sie, lächelte dann gönnerhaft. »Die Sandalen darfst zu anbehalten, sonst pikt dich noch was in deine Spinnenfüße. Und wehtun will die liebe Tante dir nicht.«
Geheimnisvoll griff sie in die Faltentasche ihres Kleides und brachte einen Pfeil zum Vorschein. »Na, da staunst du. Ein schönes Spielzeug hab ich uns mitgebracht.« Mit dem Federschaft strich sie ihm über den lachenden Mund und hielt den Pfeil hoch über seiner Stirn.
Thorgils verfolgte ihn, bog seinen Kopf zum Nacken und das Gewicht ließ ihn rückwärts ins Gras fallen. Vor Schreck füllten sich die großen Augen.
Gleich kitzelte ihn Freydis mit den Federn am Hals, bis er wieder vergnügt strampelte. In Kreisen strich sie über die eingefallene Brust.
Einige Male ließ sie den Schaft auf seinem runden Bauch wippen. »Ja, wir haben dich fein angemästet. Gar nicht auszudenken, wie fett du noch werden kannst, du Missgeburt. Und wer weiß, vielleicht lebst du ewig? Wenn dein schlaffer Vater dir was vom Erbe gibt, dann kriegst du auch noch eine Frau. O ja, Reichtum macht schön. Aber vermehren darfst du dich nicht. Vier Winter bist du alt und ich finde, das reicht. Was meinst du?«
Thorgils rollte sich hin und her. »Tante … ist … lieb.«
»Na also, wir sind uns einig.«
Freydis nahm den nackten Jungen auf den Arm und trug ihn summend die abschüssige Weide hinunter. Als von rechts und links die Mauern der Falle näher rückten und das Dreieck sich zuspitzte, setzte sie Thorgils ab. Sie zeigte nach vorn zur Mündung der beiden Steinreihen. »Dahinten wartet der Himmel auf dich.«
In ihren
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