Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Heurechen gefallen. Doch im Unterleib hatte er eine abgebrochene Pfeilspitze. Weiß du etwas darüber?«
»Dieser geile Bock.« Bei der Erinnerung glitt ihre Zungenspitze schnell über die Unterlippe. »Das war ganz einfach. Im Hemd kam er aus dem Schlafschuppen, um zu pinkeln. Ich musste nur zwinkern und schon stieg er mir in die Scheune nach. Oben hab ich ihm dann meine Titten gezeigt und schon wollte er es mir beweisen. Für diese Frechheit hab ich ihn abgestochen. Geschrien hat er gar nicht, bloß dumm geguckt. Nur mit zwei Fingern hab ich gegen seine Stirn gestoßen und draußen war er.« Freydis kicherte.
»Warum, verflucht? Sag es mir!«
»Weil ich Vater einen Gefallen tun wollte.« Entwaffnend schlug sie die Wimpern auf. »Ihr kommt da mit dem Priester an und er war so traurig. Da hab ich ihm einen Christen geschenkt.«
Leif zerrte mit beiden Händen an seinen Haaren. »Du hast einen Menschen getötet.«
»Wieso? Das war doch nur ein Sklave.«
Er sprang auf, stampfte mit großen Schritten zum Waldrand, immer wieder trat er gegen einen Busch, dass Blätter und Zweige abrissen. Hinter ihm brachte Freydis mit lockender Stimme den Jungen zum Lachen.
Schließlich kehrte Leif zu ihr zurück. Nicht mehr Bruder, seine Miene zeigte, dass er der Erbsohn des Geschlechtes Erik Thorvaldsson war. »Höre genau zu! Wenn eine Frau aus gemeiner Absicht einen Mann tötet, so trifft auch sie die Härte des Gesetzes. Sie wird enthauptet oder gesteinigt. Dieses Urteil kann vom Thinggericht gefällt werden.«
Sein kalter, gefasster Ton sog Freydis das Blut aus den Wangen.
»Du bist eine gemeine Mörderin und ich, ich werde an Vaters statt im Juni der oberste Richter auf dem Thing sein.«
»Das wagst du nicht. Ich bin deine Schwester.«
»Verlasse dich nicht darauf, Halbschwester. Du bist nur die Tochter einer Sklavin. Der Umstand, dass du von meinem Vater gezeugt und angenommen wurdest, könnte mich gnädig stimmen, deine Tat nicht auf der Versammlung zur Sprache zu bringen. Dann aber muss ich ein Hausthing beantragen. Vielleicht wirst du aus unserer Familie ausgestoßen, zumindest aber verlierst du den Anspruch auf eine große Mitgift.« Er lächelte. »Und ich sehe die stolze Freydis schon, wie sie mit einem ärmlichen Höfler davonzieht und ihre Kinder in einer qualmstinkenden Hütte zur Welt bringt.«
»Nein, nein!«, schrie sie auf und schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Bitte!« Auf Knien rutschte sie vor den Bruder hin. »Das, das darfst du mir nicht antun. Bitte, Brüderchen!«
»Es sei denn …« Er dehnte die Pause.
Gleich griff sie nach dem Strohhalm. »Sag, sag schon. Verlange, was du willst. Ich werde es tun!«
Entschlossen nahm Leif seinen nackten Sohn und drückte ihn der Schwester in den Arm. »Von nun an trägst du die Verantwortung für Thorgils. So lange, bis ein Mann dich heiratet. Hüte den Jungen wie dein eigenes Leben, denn stößt ihm etwas zu oder stirbt er durch ein Unglück, so wirst du kein Brautgut erhalten. Das schwöre ich.«
Freydis vermochte nur zu nicken. Sie drückte den Jungen an sich, herzte ihn und küsste den lachenden Mund. »Komm, wir ziehen uns an!« Behutsam streifte sie ihm das Wollwams über.
»Tante … ist … lieb.«
Unterwürfig wie eine Dienerin fragte sie den Bruder: »Soll ich Thorgils zu deinem Pferd bringen?«
»Warum?« Die jähe Wandlung der Schwester überraschte Leif aufs Neue und trotz allen Ernstes zuckte es in seinen Mundwinkeln. »Spring nicht gleich über dein Herz, Schwesterchen! Das hältst du ohnehin nicht lange durch. Aber wir sind im festen Wort miteinander.«
Sie wagte einen Augenaufschlag. »Und du sagst kein Wort zur Mutter oder deinem Onkel, auch nicht dem Vater?«
»Solange es Thorgils bei seiner Tante gut geht. Nein.« Weit schleuderte er Pfeilspitze und Federschaft von sich. »Ich reite voraus. Du solltest noch ein paar Blumen pflücken, ehe du nachkommst. Sonst glaubt dir niemand, dass du mit deinem Liebling auf einem Ausflug warst.«
Ein Trinkhorn gefüllt mit bestem norwegischen Met, auch zwei. Am Abend hatte Erik danach verlangt und Tyrkir war in seinen Vorratsschacht gestiegen. Die ganze Nacht hatte er neben dem Bett des Kranken gesessen. Lange, vertraute Gespräche, denen der Met nur ein Begleiter bis zum ersten Taggrauen war.
»Und du hilfst mir?« Der Bernstein in den Augen schimmerte.
»Ich lasse dich nicht allein.«
»Worauf warten wir noch?«, schmunzelte Erik, schlug die Decke
Weitere Kostenlose Bücher