Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Schönheit und Schrecken beieinander wohnen.«
Langsam gingen sie weiter am Ufer entlang, wichen umgestürzten Eschen aus und erreichten unvermittelt einen Erdabriss. Neben ihnen stürzte der See ins Bodenlose, das Wasser traf tief unter ihnen auf zerklüftetes Gestein, spritzte hoch und warf sich in einer sprühenden weißen Woge ins Tal hinunter. Von ihrem Platz aus war der Aufprall des Wasserfalls nicht zu erkennen, nur Grollen und Brodeln drang zu ihnen herauf. Erst weiter in der Ebene hatte sich die Urgewalt wieder in einen schäumenden Bach verwandelt.
Erik deutete auf Gebäude und Stallungen unterhalb des Steilhangs. »Wer wirtschaftet dort?«
»Valtjof. Unser Nachbar. Er hat für seinen Hof einen guten Platz gewählt.« Der Berg schütze ihn im Winter vor den Eisstürmen aus dem Norden und im Sommer sammelten sich dort unten die warmen Winde aus Süd und West. »Frucht und Gras gedeihen reichlich auf seinem Boden.«
»Valtjof?«, fragte Erik und das Blut stieg ihm ins Gesicht. »Sein Bruder Ejolf, dieser Kerl, hat mich auf der Hochzeitsfeier …«
»Schweig!«, unterbrach ihn Thorbjörn. »Du hast es vergessen. Ich verlange, dass du zu deinem Wort stehst.«
»Sei unbesorgt!«, murmelte der Rote.
Ejolf Dreck, mit diesem Namen kehrte in Tyrkir die Sorge zurück. Eifersucht ist eine Wunde, die nie heilt, dachte er. Seit Monaten hatten sie nicht mehr an diesen Mann gedacht. Auch gut, seufzte Tyrkir, von jetzt an werden wir in seiner Nähe leben und uns mit ihm abfinden müssen.
LEIF
W ieder zu Hause! Thorbjörg Schiffsbrust umsorgte ihre Tochter bei Tag und oft auch des Nachts, sodass die Schwangere manchmal nicht wusste, wer von ihnen sich mehr auf das Kind freute. Ganz gleich, Thjodhild genoss die Wochen auf dem Habichtshof, während ihr Mann und Tyrkir hinauf zum Hornstrand gesegelt waren.
Erik plante, nach Verladung der gesamten Habe, die weitere Route um das Nordkap zu nehmen. »Glaub mir, manchmal kommt man schneller ans Ziel, wenn man einen Umweg macht«, hatte er versichert. Nach dem großen Nordbogen wollte er von Westen aus in den Breidafjord einfahren, dann sich durch den Inselgürtel tasten und zum inneren Hvammsfjord gelangen. Von dort wären die Lasten bequemer und auf kürzestem Weg zur neu gewählten Hofstelle zu schaffen. »Sollst sehen, im Spätsommer brennt das Feuer in unserer eigenen Wohnhalle.«
Nicht einen Augenblick hatte Thjodhild gezweifelt. Nach den harten Monaten in der Einsamkeit, den Enttäuschungen wusste sie, Erik würde sein Wort halten.
»Warte mit dem Kind, bis ich zurück bin!«
Dies Versprechen war sie ihm beim Abschied schuldig geblieben. »Ich kenne mich nicht aus.«
Den Zeitpunkt bestimmt Göttin Freya, daran glaubte sie fest und, wie es ihr in den letzten Tagen vorkam, auch die Mutter. Längst war unter Aufsicht Thorbjörgs die Sauna zum Geburtshaus hergerichtet worden und beim ersten ziehenden Schmerz hatte Thjodhild dorthin übersiedeln müssen. Jeden Morgen kam Frau Schiffsbrust ans Bett der Schwangeren, ihre Hände strichen Öl über den gewölbten Bauch, fest und doch so zart, als streichle sie das Ungeborene und sorge gleichzeitig dafür, dass es in eine bequeme Lage kam. Stets summte sie eine Melodie, die Thjodhild noch aus ihrer eigenen Kindheit kannte.
Eines Morgens schob die erfahrene Frau behutsam ihren Finger in den feuchten Schoß. »Die Wehen werden heute regelmäßiger einsetzen.« Da sie das ratlose Gesicht ihrer Tochter sah, setzte sie lächelnd hinzu: »Du kannst mithelfen: Dein Kind will ans Licht. An nichts anderes sollst du jetzt denken.«
Sie ließ Thjodhild aufstehen, und während beide vor dem Saunahaus im Sonnenschein auf und ab gingen, erzählte die Alte von der Nacht, in der sie selbst geboren hatte.
Ihre Stimme lockte die Wehen, Thjodhild fühlte eine schmerzhafte Welle, die sich bald zurückzog und nach einiger Zeit wiederkehrte. »Atme ruhig, mein Mädchen, nur wir Frauen haben die Kraft, neues Leben zu schenken.«
Als die Wehen in kürzeren Abständen kamen, führte sie die Schwangere zu einem Mörser voller Getreidekörner und reichte ihr den Stößel. »Zerstampfe sie!« Doch nicht mit heftigen Stößen, das Mehl sollte grob bleiben. »Daraus werde ich dir nach der Geburt ein süßes Kindbrot backen.« Sie ließ die Tochter allein.
Beim Auf und Ab der Arme fühlte Thjodhild von Mal zu Mal, wie das Drängen in ihrem Schoß schmerzhafter wurde. Eine Wehe nahm ihr jäh den Atem und gegen ihren Willen schrie sie auf.
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