Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Bärte und suchten sich gegenseitig nach Läusenestern ab. Obgleich der Herr es jedem Sklaven großzügig freigestellt hatte, das Haar lang zu tragen, schoren die meisten ihre Wintermähne ab, nur so war der Kampf gegen die Plagegeister zu gewinnen. »Eine Sauna bauen wir auch!«, rief Erik. »Sollt sehen, jeden Samstag werden wir im Dampf schwitzen.«
Thjodhild trat ins Freie. Sie ging aufrecht, nein, sogar etwas zurückgebeugt, als wäre das Ungeborene in dieser Haltung leichter zu tragen. »Bitte, begleite mich!« Ohne auf Erik zu warten, schritt sie hinüber zum Grab auf der Klippe.
»Die Luft bekommt dir gut.« Er betrachtete sie lächelnd, der Wind presste das Kleid an den Körper und ließ deutlich die Form ihres Leibes erkennen.
»Darüber muss ich mit dir sprechen.« Sie stockte, in Gedanken hatte sie Wort für Wort abgewägt, wollte erst schonend erklären, ehe sie ihm ihren Entschluss mitteilte. Jetzt entschied sich das Gefühl gegen jedes Hinauszögern. »Mein Kind und ich ersticken hier. Ich werde nicht auf Spitzklipp bleiben, Erik.«
Er wankte, atmete scharf wie nach einem Fausthieb, den er einfach hinnehmen wollte, und sah prüfend auf das Steinschiff. »Die Stürme sind hart hier oben für den Vater. Besser ich verstärke den Bug. Was meinst du?«
»Hast du mich verstanden?«
Umständlich wählte der Rote, schließlich wuchtete er einen Felsbrocken hoch.
»Erik! Ich bleibe nicht hier.«
Er ließ den Stein zurückfallen und seine Schultern sanken. »Ich hab … Nein, ich weiß nichts. Nur …« Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab, und nachdem er eine Weile aufs Meer hinausgeschaut hatte, sagte er: »Ich war gut zu dir, wie ich konnte.«
»Das weiß ich. Dennoch ist es besser so.«
»Besser?« Der breite Rücken zitterte. »Besser ist es, wenn die Frau beim Mann bleibt. Und der Mann bei Frau und Kind.«
Sie trat hinter ihn, schob ihre Hand vorsichtig in die seine. »Das meine ich auch.«
»Was?«
Thjodhild berührte ihn mit ihrem Bauch. Das Schwerste stand ihr nun bevor. Große Frigg, du Göttin aller Mütter, flehte sie stumm, um unseres Glückes willen, lass mich jetzt die richtigen Worte finden! »Wir müssen zusammenbleiben, Erik. Nichts wünsche ich lieber, für das Kind und auch für mich. Zusammen ja, aber nicht hier.«
»Versteh ich nicht.« Immer noch starrte er übers Wasser, mit einem Mal ging ein Ruck durch seinen Körper, langsam drehte er sich um. »Du willst gar keine Scheidung?«
»Niemals.« Sie wollte, dass er einen Gedankenschritt weiterging und versuchte zu scherzen. »Es sei denn, du belügst mich wieder, dann überlege ich es mir vielleicht.«
»Du meinst, ich soll weg von hier …?«
»Ja, Erik!« Ja, er sollte Spitzklipp aufgeben. Genug verstünde sie von Ernte, Viehhaltung und gutem oder schlechtem Boden. Diese Gegend sei unfruchtbar und der Feind eines jeden fleißigen Mannes. »Soll unser Kind hier zwischen den Felsen aufwachsen?«
»Der Vater hat die Stelle gewählt.«
»Weil ihm nichts anderes übrig blieb.«
»Das ist wahr.« Nach einigem Zögern murmelte er: »Aber selbst wenn ich wollte, Platz finde ich keinen für uns.«
Thjodhild sah ihn offen an. »Es gibt Land genug. Unten im Habichtstal. Und gutes Land.«
Er senkte den Blick. Unmöglich, was würden der Schwiegervater, die Mutter und alle Verwandten sagen? Erik, ein Lügner! Er hat sich den Heiratsvertrag erschlichen! Unmöglich, ehe er sein Gesicht verlor, sollte sie ihn besser mit dem Kind verlassen. »Schande ist schlimmer als der Tod.«
»Befürchte nichts. Ich werde selbst mit den Eltern sprechen und muss nicht einmal lügen, sondern nur einen Teil der Wahrheit auslassen. Du wirst im Habichtstal ehrenvoll und mit offenen Armen aufgenommen, das verspreche ich dir.«
»Na ja, besser wär’s schon für das Kind«, brummte er und bat um Zeit, er wollte nachdenken.
Vor Erleichterung fühlte Thjodhild einen Schwindel und musste tief Atem holen, ehe sie weitersprechen konnte. »Ja, Erik. Denke an das Kind und an mich und überlege es dir!« Sie ließ ihn zurück, doch nach wenigen Schritten fiel ihr noch etwas ein: »Darf ich Tyrkir schon von unserm Plan erzählen?«
»Mir recht. Der Kerl soll ruhig auch mal nachdenken.«
Während sie über den schmalen Pfad auf den Hof zustrebte, tastete sie mit beiden Händen ihren Bauch ab. »Weil du Worte noch nicht verstehen kannst, mein Kind, so spür nur, wie froh deine Mutter ist!«
Gegen Mittag kam der schmächtige Verwalter zum Grabhügel
Weitere Kostenlose Bücher