Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Doch ehe Angst sie befiel, kehrte die Mutter mit zwei alten Mägden zurück und gemeinsam führten sie die Stöhnende in die warme Stube.
Wie durch einen Schleier sah Thjodhild den mit Moos ausgelegten und mit einem Tuch bedeckten Platz. »Knie dich hin, mein Kleines!« Dann waren es Arme, die ihren Körper bei jeder neuen Woge anhoben; das ernste Gesicht der Mutter, ihre beruhigende Stimme, nichts anderes nahm Thjodhild wahr, bis dieser einzige große Schmerz alle Zeit anhielt.
Ein kleiner Schrei, hell und fordernd, weckte sie aus der Erschöpfung. Es ist wahr, dachte Thjodhild verwundert und öffnete die Lider. Sie lag auf weichen Fellen, sah über sich die Balkendecke, nichts sonst. Ihr Unterleib und die Schenkel wurden mit einem feuchten, kühlen Tuch abgerieben. Warum schweigt die Mutter? Warum höre ich nichts mehr von meinem Kind? Thjodhild versuchte sich aufzurichten, es gelang ihr nur ein wenig, dann sank sie wieder kraftlos zurück. Tränen stiegen. »Mutter. Wo ist es?«
»Gleich, mein Mädchen, gleich.«
Jetzt vernahm sie wieder den hellen Schrei, gefolgt von unwilligem Jammern. Erlöst atmete Thjodhild aus. Ja, es ist wirklich wahr. Als dann die Mutter sich über sie beugte und ihr ein rosig warmes Wesen zwischen die Brüste legte und sagte: »Du hast einen Sohn. So schön ist er«, da spürte sie, wie alle Not und Schmerzen der vergangenen Stunden von ihr abfielen. Mit den Fingern tastete sie nach den nassen Härchen, fand Schultern und Arme. »Ich will ihn anschauen. Bitte!« Sofort wurden ihr Kissen in den Rücken gesteckt. Ein verknautschtes Menschlein mit Augenpunkten im runzligen Gesicht. »Aber er sieht so alt aus«, flüsterte sie erschrocken.
Da schmunzelten und lachten die Frauen. Thorbjörg ließ sich neben dem Lager auf einem Holzklotz nieder. »So ist das nun mal, mein Mädchen. Damit beginnt der Lebenskreis. In wenigen Tagen strafft sich die Haut, dann wächst der Kleine zum Mann, hat Kraft und glaubt, dass es immer so bleibt, doch später im Alter wird er wieder so schwach und faltig sein wie jetzt.«
Behutsam strich Thjodhild über die winzigen geballten Hände und verglich sie im Stillen mit den Fäusten seines Vaters. »Ein Leben voller Glück wünsche ich dir, mein Kind!«, flüsterte sie.
Erst Anfang Juni lief das Schiff in die Bucht unten am Hvammsfjord ein. Zwei Wochen war Erik durch einen Sturm aufgehalten worden. Tyrkir war verletzt. Beim Sprung in den Frachtraum war er über ein Tau gestolpert und hatte sich den rechten Fuß verstaucht.
»Aus dir wird nie ein Seefahrer«, verspottete ihn der Rote.
»Was wärst du ohne deinen Lotsen? Nur im Kreis würden wir herumfahren«, schlug Tyrkir zurück. Aber der Schmerz war geblieben. Oft hatte ihn der erste Bootsmann vorn am Drachenkopf ablösen müssen, weil sein dick angeschwollener Fuß das lange Stehen auf den schwankenden Planken zur Qual werden ließ. Jetzt war Tyrkir heilfroh, endlich an Land zu können.
Noch von Bord aus entdeckte er die jungen Männer am Ufer, sie lachten und grölten, einige ritten auf dem flachen Kiesstrand um die Wette, andere standen sich halb entblößt gegenüber und maßen ihre Kräfte beim Ringkampf. Kaum näherte sich der Segler, unterbrachen sie ihr wildes Spiel. Eine Abwechslung! Hilfreich wateten gleich drei von ihnen ins Wasser, um den Knorr weiter auf den Strand zu ziehen. Ein schriller Pfiff in ihrem Rücken ließ sie stocken. »Diesen Kahn rühren wir nicht an! Wagt es nicht!«
Tyrkir verengte die Lider. Der Befehl kam von einem der Reiter: Ejolf Dreck! Hoch gereckt saß er im Sattel, das blonde Haar mit einem Stirnband gehalten, sein kantiges Gesicht war blass vor Wut. »Kommt sofort zurück! Wir helfen keinem Fremden.«
Jetzt hatte auch Erik den Mann erkannt. Stumm sah er zu, wie die drei Burschen wieder umkehrten und wenig später mit ihrem Anführer und den Kumpanen die Landungsstelle verließen. »Auf die Begrüßung hätte ich auch verzichten können«, knurrte er.
»Vergiss ihn einfach!« Tyrkir schnippte mit dem Finger. »Ejolf und seine Bande waren gar nicht hier.«
»Wie redest du mit mir? Bin doch nicht blind.«
»Entschuldige, Herr.« Tyrkir schüttelte unmerklich den Kopf. Blind? Besser wäre es schon, dachte er, zumindest wenn es um diesen Ejolf und diese reichen unbeweibten Nichtstuer geht.
Auf halbem Weg ins Hochtal winkten Knechte von einer Wiese mit ihren Harken dem Lastenzug und liefen näher. Einer fragte: »Du bist doch Erik, der Mann der Thjodhild vom
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