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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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spiel mit ihnen!«
    Tyrkir kniete sich zu den Kleinen. Er lächelte und tippte Leif auf den kugeligen Bauch, strich behutsam Gudrids Wangen. »So lange ist es her. Vermisst habe ich euch.« Das Formen der Worte fiel ihm schwer, zu ungeübt waren seine Lippen.
    Doch die beiden strampelten vergnügt, wedelten mit den Ärmchen und Augen strahlten ihn an.
    »Siehst du, keines fürchtet sich vor dir.« Thjodhild zog einen Spiegel aus der Rocktasche. »Warum solltest du dich erschrecken?« Damit reichte sie ihm die handgroße Silberscheibe.
    Tyrkir erkannte sich nicht. Mein Gesicht besteht aus zwei Hälften, stellte er entsetzt fest, die eine menschlich, die andere … Er fand so schnell keinen Vergleich. Eine zwei Finger breite, tiefrote Narbe; sie begann im linken Mundwinkel, zog seine Lippen, furchte durch die Sommersprossen, sie spannte über den Wangenknochen und endete in einem Wulst unter dem Ohrloch, dort, wo früher die Ohrmuschel gewesen war. Eine Fratze, mein halbes Gesicht ähnelt dem Aussehen eines Untoten. »Kinder haben bessere Augen«, murmelte er, »deshalb schreien sie nicht bei meinem Anblick.«
    »Dann habe ich auch bessere Augen!« Thjodhild griff nach dem Spiegel. »Was jammerst du?«, fuhr sie ihn an. »Ebenso gut könntest du jetzt bei den anderen Leichen in der Grube auf der Ochseninsel liegen. Sei also froh, dass du gesund hier bei uns bist!«
    Ihr Zorn trieb ihm die Schamröte ins Gesicht. Du Narr, beschimpfte er sich, allein vor ihrem Urteil hast du dich in den vergangenen Wochen gefürchtet und sie kann über meine Narbe hinwegsehen, nur das zählt. »Verzeih! Ich muss lernen, mich an mein neues schönes Gesicht zu gewöhnen.« Das Lächeln gelang nicht ganz. Er verließ die Hauswiese und ging noch unsicheren Schritts zur Felskante über der Höhlenebene hinüber.
    Kopfschüttelnd blickte ihm Hallweig nach. »So schmal, wie er jetzt ist, taugt dein Verwalter nicht für einen Krieg. Du solltest ihm befehlen, hier zu bleiben.«
    »Wenn ich es nur könnte«, seufzte Thjodhild aus tiefstem Herzen. Als sie das Erstaunen der Freundin bemerkte, setzte sie schnell hinzu: »Er benötigt unsere Hilfe nicht mehr, das meine ich. Jetzt hat Erik wieder über ihn zu bestimmen. Verstehst du?«
    Die ausgesandten Knechte waren auf den Hof am Warmquellhang zurückgekehrt. Von den fünf befragten Gutsherren hatten sich drei entschlossen, mit kleinem Gefolge für die Partei des Roten einzutreten. Nicht seinetwegen, aber dem Richter Thorbjörn Vifilsson wollten sie keine Bitte abschlagen.
    »Ein schlechtes Vorzeichen«, brummte Erik. »Wer nicht überzeugt ist, kämpft schlecht.«
    »Sei zufrieden!« Der Gode versuchte ihn zu überzeugen: »Ganz gleich, warum sie bereit sind. Damit verfügen wir insgesamt über fünfunddreißig Waffenknechte. Und ich bin nicht sicher, ob dein Feind ein annähernd großes Heer aufstellen kann.«
    Am Abend vor der Abfahrt gab sich Erik wie verwandelt. Keine Zweifel und Sorgen mehr. Beim Essen, allein mit Thorbjörn, Tyrkir und den zehn Knechten, die er ausgebildet hatte, lachte er und sprach den Männern Mut zu. Er war jetzt der Anführer, der nur ein Ziel kannte. »Wir siegen. Weil die Götter und das Recht auf unserer Seite sind.« Fäuste trommelten auf die Tischplatten, durch Lärm versuchten seine Leute auch den letzten Rest ihrer Furcht zu vertreiben.
    Als die Schüsseln geleert waren, erhob sich Erik. »Hört, was ich noch sagen muss. Hört und seid meine Zeugen!«
    Sein feierlicher Ton ließ jedes Gespräch sofort verstummen. Mit beiden Händen strich er die Haarmähne zurück. »Ich will nicht mit einer Schuld in den Kampf ziehen. Nur wenn das Herz leicht ist, hat der Arm gute Kraft.«
    Sonderbar, staunte Tyrkir, wie salbungsvoll mein Wikinger mit einem Mal reden kann. Bin neugierig … Weiter kam er nicht in seinen Überlegungen, denn Erik stand vor ihm. »Hier seht ihr meinen Verwalter, seht seine Narbe! Er hat den Schwertschlag abgefangen, der mich getötet hätte. Ich schulde ihm mein Leben.«
    Er berichtete den Zuhörern, wann und wie Tyrkir an den väterlichen Hof in Norwegen gekommen war, und freimütig bekannte er sich zu der Freundschaft, die zwischen ihm, dem Herrn, und dem Sklaven gewachsen war. »Nach meinem festen Willen soll heute auch der Standesunterschied zwischen uns aufgehoben werden.«
    Die anwesenden Knechte blickten sich verstohlen an. Freiheit, selbst ein Herr sein! Wer von ihnen hatte nicht schon davon geträumt?
    Eriks ausgestreckter Finger schnellte

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