Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
auf den Deutschen zu. »Steh auf!«
Sofort gehorchte Tyrkir.
Ein Grinsen zuckte im rotbärtigen Gesicht. »Das war mein letzter Befehl an dich, Sklave.« Gleich wieder ernst, legte er dem Schmächtigen beide Hände auf die Schultern. »Ich, Erik Thorvaldsson, bitte den Vater meines Vaters und dessen Vater und auch den Vater meines Urgroßvaters, den großen Ochsenthorir, zu uns in diese Halle.« Er wartete einige Atemzüge lang, ehe er fortfuhr. »In Anwesenheit meiner Vorfahren, im Beisein des Goden Thorbjörn Vifilsson und dessen Sklaven entlasse ich dich, Tyrkir, den man den Deutschen nennt, in die Freiheit. Von heute an kannst du gehen, wohin du willst, darfst dir ein eigenes Haus bauen, selbst eine Frau suchen und Vieh und Sklaven halten. Nicht nur bei Verträgen und Geschäften gilt dein Wort, auch auf der Thingversammlung hat deine Stimme gleiches Gewicht wie die jedes freien Bauern.«
Das Blut pulste hinauf, überschwemmte das Gesicht und heftig schmerzte die Narbe. Mein Wikinger, dachte Tyrkir, mein Freund, du gibst mir ein Geschenk, nach dem ich mich noch nie gesehnt habe. Aber jetzt, da ich es besitze, erfüllt es mich mit Stolz.
Erik wartete den Beifall des Goden und der Knechte nicht ab, er gab auch dem frisch ernannten Herrn keine Gelegenheit, sich zu äußern. »Das reicht, ihr Leute!« Die Zeremonie hatte lange genug gedauert und die wohlgesetzte Rede war ihm schwer gefallen. »Also?« Fordernd blickte er den Freund an. »Entscheide dich, als freier Mann.«
»Wozu?« Tyrkir tastete nach der Narbe und bedeckte sie mit der Hand.
»Aber Schlaukopf, gewöhn dich dran! Ab jetzt muss ich dich fragen. Gehst du morgen mit aufs Schiff oder nicht?«
Trotz leisen Gelächters ringsum schluckte Tyrkir den Ärger hinunter. Jetzt war nicht die Gelegenheit, den Spott heimzuzahlen. Aber warte nur ab, du Wikinger, vielleicht bereust du in Zukunft hin und wieder sogar deine Großzügigkeit, denn ein gleichberechtigter Freund darf dir mehr sagen als ein Sklave, der dein Freund ist! »Ich begleite dich.«
Frisches Bier wurde ausgeschenkt. Während die Waffenknechte den Krug von Mund zu Mund reichten, Lobsprüche auf den neuen Herrn ausriefen, die Tüchtigkeit der Schiffe beschworen, den Feind verdammten und immer neue Gründe fanden, um weiterzutrinken, besprach Erik mit dem Goden und Tyrkir noch einmal den Plan für die nächsten Tage.
Morgen würden sie auslaufen. Die Kampfausrüstung war verstaut, nichts fehlte; um Proviant und Zelte hatte sich Katla mit drei Sklavinnen gekümmert. Thjodhild selbst hatte die lang gediente Magd als Begleitung ausgewählt, keine außer Katla besaß genügend Überblick und Erfahrung, um den Männern bei der gefahrvollen Unternehmung eine Stütze zu sein. Bei günstigem Wind hofften sie, gegen Mittag auf das Schiff des Nachbarn Styr zu treffen. Styr war der einzige Gutsherr auf der Südseite, der hatte gewonnen werden können. Treffpunkt war die Ochseninsel. Dort wollten sich auch die beiden Verbündeten vom Breidafjord mit Schiffen und Kämpfern einfinden.
Thorbjörn nickte. »Bis dahin bleiben wir sicher unbemerkt. Jetzt, so kurz vor dem Junithing in Thorsness, kreuzen viele Knorrs im Fjord, da werden unsere nicht auffallen.«
»Wie wir dann weiter vorgehen«, der Rote ballte langsam beide Hände zu Fäusten, »das entscheide ich, wenn wir mit dem Bauern vom Breidahof den Tag der Schlacht verabredet haben.«
Thjodhild lag noch wach, als Erik sich zu ihr legte. Sie streichelte seine Brust, küsste ihn und gemeinsam drängten sie zueinander; Abschied, wie viel schöner so und schwerer zugleich.
Später lagen sie ruhig da. Wieder griff Thjodhild nach seiner Hand. »Bitte, Liebster. Lass Tyrkir hier. Er ist noch zu schwach. Die Narbe kann schnell wieder aufbrechen. Befiehl ihm hierzu-bleiben!«
Leise lachte Erik. »Zu spät, er zieht mit in den Kampf. Einen Befehl kann ich dem Schlaukopf nicht mehr geben, weil er Herr ist wie ich.«
Die Neuigkeit erschreckte sie. Mein Tyrkir gehört nicht mehr zum Besitz der Familie? Was wollte er tun? Bleiben oder selbst eine Sippe gründen? Thjodhild durfte nicht fragen, sosehr sie es auch danach drängte.
Zu welcher Partei hielten die Götter? Am festgesetzten Morgen der Schlacht fegte Sturm über die Ochseninsel, peitschte Regen gegen die Zeltplanen auf der Wiesenterrasse. Unten in der Bucht ächzten die Masten der Schiffe.
Seine Kappe tief in die Stirn gezogen beobachtete Tyrkir den Freund. Wut stand Erik im nassen Gesicht. Trotz
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