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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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neue Angst. Wo ist Tyrkir? Ich ängstige mich um zwei Männer, auch wenn ich es nicht zugeben darf.
    Ihr Blick heftete sich auf den Verwundeten in der Gruppe. Eine kleine schmächtige Gestalt. Tyrkir? Ja, er war es, auch er lebte, zumindest lebte er noch. Bis auf Stirn und Augen war sein Kopf mit Tüchern umwickelt. Rechts und links wurde er von Helfern gestützt; weil er kaum Kraft aufbrachte, selbst zu gehen, führten und trugen sie ihn den steilen Pfad herauf. Das Herz drängte Thjodhild, gleich loszurennen. Der Verstand befahl, bleib hier, wenn du dich nicht verraten willst! Zeige Anteilnahme, doch nicht übermäßige Sorge!
    Kurz bevor die Gruppe über die Hauswiese den Hof erreichte, fasste Hallweig die Hand der Freundin. »Der arme Kerl mit dem Verband muss euer Verwalter sein. Schlimm sieht er aus.«
    »Da Tyrkir noch auf den Beinen ist, wird die Verletzung nicht lebensgefährlich sein.« Thjodhild hörte sich sprechen und war selbst erstaunt über ihren sachlichen Ton. »Schmächtig ist er, aber zäh. Ich kenne ihn.«
    Keinen Schritt gingen die Frauen den Ankommenden entgegen. Erik umfing seine Frau mit einem sehnsüchtigen Blick, weil es aber so Brauch war, trat er zunächst vor die Hausherrin und grüßte sie ungelenk: »Mit nur wenigen Leuten komme ich vom Breidafjord zurück. Das Glück hat uns nicht begleitet. Gewähr uns wieder Gastfreundschaft unter deinem Dach! Wenn’s auch mehr Arbeit kostet, weil mein Freund … Na, du siehst ja, er ist verwundet.«
    »Willkommen, Erik.« Hallweig lächelte. »Ruh dich aus! Und sorge dich nicht um deinen Verwalter! An Pflege wird es ihm nicht fehlen.« Sie befahl den Helfern, Tyrkir sofort in die Schlafkammer zu bringen, und eilte schon voraus.
    Fest schloss Erik seine Frau in die Arme. Thjodhild verbarg ihr Gesicht an der breiten Brust. »Deinem Sohn geht es gut«, sagte sie. »Gestern hat er gelacht und wenn er dich sieht, lacht er bestimmt wieder.«
    »Wir werden kein Haus für Leif auf unserer Insel bauen.« Er strich ihr übers Haar. »Der Boden da ist nicht gut genug für uns.«
    »Ach, Erik … Jetzt will ich froh sein, dass du zurück bist.« Sanft befreite sie sich aus der Umarmung. »Was ist mit Tyrkir?«
    »Nichts Ernstes. Aber sein Gesicht hat einen Schlag abbekommen. Weil er mir das Leben gerettet hat.«
    »Ich muss nach ihm sehen.« Bis zur Tür bewahrte Thjodhild Haltung, allein in der Halle aber beschleunigte sie ihren Schritt und erreichte die Schlafkammer, als Hallweig dem Verletzten vorsichtig die äußeren, verdreckten Stofflappen abnahm.
    Tyrkir hockte zusammengesunken auf dem Bett. Jetzt nahm er die schlanke Gestalt wahr und sein Blick wurde lebhaft. Im Dunkel seiner Augen flackerten Freude und Angst zugleich auf.
    »Soll ich helfen?«
    Die Freundin nickte. Tyrkir hingegen schüttelte kaum merklich den Kopf.
    Was fürchtest du?, fragte sich Thjodhild, während sie mit einer Schere den Verband an seinen Schläfen durchtrennte. Ganz gleich, wie du zugerichtet sein magst, mich erschreckt es nicht. Doch als das letzte Stück Stoff, auch die Heilblätter abgenommen waren, stockte ihr für einen Augenblick der Atem, dann fühlte sie nur noch liebevolle Sorge und Mitleid: Seine linke Gesichtshälfte war dick aufgequollen, eine breite, schwärzlich verkrustete und an den Rändern vereiterte Wunde teilte sie vom Ohr bis in den Mundwinkel. Dem Ohr fehlte der obere Teil und der entzündete Fleischrest hatte den Gehörgang zugewuchert.
    Tyrkir versuchte in Thjodhilds Blick zu lesen. Nein, sie ekelt sich nicht, dachte er dankbar und seine Angst vor dem Wiedersehen fiel von ihm ab. Mühsam bewegte er die Lippen, schließlich formte er kaum verständliche Worte: »Einen Spiegel brauche ich nicht mehr.«
    Es dauerte, bis sie begriff, dann half sein Scherz ihr, die Rührung zu unterdrücken. Leicht strich sie über seine Hand. »Nicht gleich, aber bald wieder. Sorg dich nicht!«
    »Was meint er?«, fragte Hallweig, derweil sie eine Paste aus Fett und gestoßenem Labkraut auf ein weiches Tuch strich.
    »Er will keinen Spiegel mehr.«
    »Nicht zu glauben, wie eitel die Männer sind. Da wird ihnen beinah der Schädel gespalten und sie sorgen sich als Erstes um ihre Schönheit.«
    Die Frauen schmunzelten. Tyrkir wollte mitlachen, doch schon beim Versuch durchzuckte der Schmerz seine linke Gesichtshälfte.
    Sorgsam wurde ihm das Salbentuch aufgelegt und ein neuer Verband gewickelt. Dieses Mal so geschickt, dass die unverletzte Seite, auch Augen, Mund und

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