Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Segel ist zwischen den anderen auf die Entfernung schwer auszumachen. Die beiden führen dich mit. Und sobald wir meinen Seevogel erreicht haben, wird er sich hinter uns setzen. So kann keiner mit Sicherheit herausfinden, welches Ei unsere Flotte da im Nest davonträgt.«
Zu zaghaft griff der Wind in die Segel. Und Bordwand neben Bordwand kämpfte der Verband im Auf und Nieder mit den Wogen. Inzwischen hatte der Verfolger die Schiffe gesichtet und seinen Kurs geändert, kein Zweifel mehr, er versuchte ihnen den Weg abzuschneiden.
»Dieser hirnlose Narr!«, fluchte Thorbjörn. »Sieht er nicht, dass wir in der Überzahl sind? Falls er uns zu nahe kommt, müssen wir aus ihm einen Geistersegler machen.« Entschlossen hob er den Arm. »Waffen bereithalten!« Sein Befehl richtete sich an die Mannschaften des Geleits. »Ihr auch!«, forderte er die zehn Sklaven des Reittiers auf.
Tyrkir war bleich geworden. »Unternimm etwas!«, raunte er Erik zu. »Ehe noch ein Unglück geschieht.«
»Recht hast du.« Hastig überließ ihm der Hüne die Ruderpinne und ging mittschiffs zum Goden hinüber. »So kampfsüchtig kenne ich dich gar nicht. Dachte immer, ich sei der Raufbold und du der Besonnene.«
»Was bleibt uns denn übrig? Nach meinem Versagen auf dem Thing will ich dich wenigstens sicher ins offene Meer bringen. Das habe ich mir geschworen.«
»Du bist ein wahrer Freund. Aber vielleicht können wir auf eine Seeschlacht verzichten.« Erik schlug vor, dass er sich, sobald der Verfolger auf Rufweite herangekommen war, im Laderaum zu dem Proviant legte. »Lass die Kerle doch nach mir fragen. Du bist hier der Schiffsführer und überführst gerade meinen Knorr zur Südseite, so wie du’s in Thorsness angekündigt hast. Und ehe wir nicht am Gletscher vorbei sind, stimmt sogar die Richtung.«
Der Gode rieb sich mit dem Handrücken die Stirn. »Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«
Erik schwieg. Unvermittelt nahm die Brise zu. Rechts und links blähten sich die Segel, auch das rote Tuch wurde zum prallen Windbauch, leicht veränderten die Männer an der Pinne den Kurs und der Verband glitt schneller und schneller über die Wellenkämme dahin. In ihrem Kielwasser flog der Seevogel.
Ein Auge zusammengekniffen schätzte der Rote über dem gestreckten Daumen die Entfernung des Verfolgers und verglich dessen Geschwindigkeit mit der eigenen. Nach einer Weile grinste er. »Schon wieder gibt’s keinen Krieg. Auch keine Fragen. Aufhalten kann der uns nicht mehr.«
Die Anspannung wich und aus tiefstem Herzen seufzte der Richter. »Wäre auch das erste Mal gewesen, dass ich …« Er winkte ab. »Andere Dinge beherrsche ich wirklich besser.«
Nebeneinander am Mastbaum stehend sahen sie zu, wie der Verfolger schließlich die Jagd aufgab und wendete. Nur ein Schwarm hungriger Möwen hielt jetzt noch mühelos ihre Geschwindigkeit. »Wird ein guter Tag«, meinte Erik.
Auf der Höhe der äußersten Landspitze der Schneefels-Halbinsel refften die vier Schiffe ihre Segel. Abschied. Styr und Ejolf vom Schweinseiland kamen noch einmal an Bord des Reittieres.
»Wenn ich das Land gefunden hab, komme ich wieder.« Der Rote sah ernst von einem zum anderen. »Vergessen werd ich’s nie. Ich mein, was ihr für mich getan habt. Und wenn einer von euch irgendwann Hilfe braucht, ich geb sie ihm, das schwöre ich.« Sie reichten sich die Hände, wortlos kehrten Ejolf und Styr in Begleitung Thorbjörns auf ihre Knorrs zurück.
Während die Mannschaft wieder das rote Segel setzte und sich das Reittier aus dem Verband löste, rief Erik dem Goden nach: »Und sag Thjodhild: Drei Jahre sind nicht lang. Sag ihr das!«
Tyrkir stand am Hecksteven, er winkte, dann ließ er es. Als die Schiffe der Freunde rasch kleiner wurden, flüsterte er: »Drei Jahre, das sind drei lange Winter und drei Sommer.« Er wandte sich um und ging nach vorn zum Drachenkopf. Der Fahrtwind biss in seine Narbe, schmeckte salzig auf der Zunge. Ihn fröstelte.
HALLWEIG
T hjodhild weinte nicht. Mit versteinerter Miene hatte sie dem Richter zugehört. Als er schwieg, nahm sie ihren Sohn von der Spieldecke und trug ihn durch die Halle nach draußen. Es regnete. Tief hingen die Wolken. Sie verließ den Hof am Warmquellhang ohne Hast und schritt aufrecht über den schmalen Pfad bis zur Steilklippe hinaus. Dort verbarg sie den Kopf des Kleinen an ihrer Brust. Der Blick nach Westen fand keinen Horizont, irgendwo wurde er mit den Regenschwaden vom Meer aufgesogen. »Beide.
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