Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
lachte weiter. Zum ersten Mal, seit Erik und Tyrkir fort waren, fühlte Thjodhild sich unbeschwert.
Die rundliche Frau des Richters stand auf, drehte sich im Kreis und hielt dabei die Hose so, dass Luft die Pluderbeine aufplusterte. »Na, was sagst du?«
»Selbst wenn ich gleich zwei Kinder trage, passe ich da noch rein.«
»Weich und bequem muss sie schon sein. Der Stoff schmiegt sich an. Komm, steig mal rein.«
Thjodhild löste aus beiden Brustfibeln die Träger ihres Schürzenkleides und streifte es über den Kopf.
»Das Untergewand auch. Sonst sehen wir ja nichts.«
Nackt setzte sich Thjodhild auf den Hocker, einen Fuß nach dem anderen steckte sie durch die Beinlöcher der zusammengeknautschten Hose, stand wieder auf und entrollte den Stoffwulst umständlich bis über die Hüften. »Das muss ich noch üben.«
»Die Kerle können’s schneller, das ist wahr.« Hallweig fädelte einen Wollstrick durch die Schlaufen im Bund und knotete lose die Enden. »Passt.« Sie betrachtete die Gestalt. »Wie schön du bist.« Nach einer Weile sagte sie kurzatmig: »Kann schon verstehen, dass du den Männern gefällst.«
»Bis jetzt hat mich noch keiner in einer Hose gesehen.«
»Das wäre auch nicht gut. Nein, ich meine, dir gucken die Kerle mehr nach als mir.«
Hastig griff Thjodhild nach dem Untergewand. »Wer denn? Wem gefalle ich?«
»Erik, das weißt du selbst. Meinem Thorbjörn könnte ich es nicht verdenken. Ja, und ganz sicher gefällst du dem neu ernannten Herrn. Unserm schmächtigen Narbengesicht.«
Thjodhild zog das lange Leinenhemd über den Kopf. »Tyrkir? Der zählt nicht, auch wenn er jetzt freigelassen ist, er gehört eben zur Familie.« Sie drehte Hallweig den Rücken zu, während sie die Hosen abstreifte und sich wieder bekleidete. »Außerdem ist unser Verwalter Leifs Ziehvater.« Du musst von Tyrkir ablenken, befahl sie sich, sonst verrätst du dich noch. »Wieso glaubst du, dass die Männer dir nicht hinterhergucken?«
Keine Antwort kam. Thjodhild befestigte die Träger an den Brustfibeln. »Also ich finde dich begehrenswert.«
Unterdrücktes Wimmern, gleich gefolgt von einem Schrei, nicht schrill, und doch traf er Thjodhild ins Mark. Sie fuhr herum. Die Freundin reckte den Mund wie eine Ertrinkende, ihre Finger zerrten am Hals, als versuche sie von außen die Kehle zu weiten. Hallweig sank in sich zusammen und ehe Thjodhild bei ihr war, schlug sie zu Boden.
»Gleich geht es dir besser.« Wie schon so oft bei einem Anfall setzte sich Thjodhild neben die Freundin und bettete den Kopf in ihrem Schoß.
Das Gesicht war wächsern, die Lippen blau. »Hallweig?« Sie prüfte den Atem, tastete nach dem Herzschlag. Stille, nichts sonst.
Vor Thjodhilds Blick verschleierten sich die Lichter in der Halle. Mit einem Mal umgab sie Tosen und Rauschen. Ein rotes Segel tauchte aus Wellentälern auf. Das Schiff Eriks. Es wurde von einer Woge hochgeschleudert, verschwand und tauchte wieder aus der Gischt. Vom Sturm wurde das Reittier unerbittlich auf schroffe Felsen zugetrieben. Nein, dachte sie, keine Felsen, das sind Zähne im aufgerissenen Maul eines riesigen schwarzen Ungeheuers. Es will Erik und Tyrkir verschlingen. Tränen liefen ihr haltlos über die Wangen. Sie streichelte das Haar der Freundin.
»Du auch? Gehst auf die Reise und lässt mich auch allein. O Hallweig, ich fürchte mich.«
AUF DEM RUNENSTEIN
DER ERINNERUNG ZU LESEN:
M it einem Stichel müssen die Zeichen freigelegt werden.
… das Jahr 982: Prinz … Olaf Tryggvasson … Sein Vater wurde in Norwegen von zwölf Männern heimtückisch ermordet. Seine Mutter floh hochschwanger vor den Feinden und brachte ihren Sohn auf einer kleinen Insel vor der Küste zur Welt. Doch die Verfolger fanden das Versteck. Olaf wurde als Sklave verkauft, verschleppt und befreit. Er wuchs in Russland am Königshof auf und wurde dort ein geachteter Heerführer. Eines Tages trifft er im Wendland den jungen Klosterschüler Dankbrand. Der Schild des Novizen ist mit einem Kreuz bemalt. Olaf fragt und Dankbrand berichtet vom Leiden Christi und der Wunderkraft, die dem Kreuz innewohnt … Tief beeindruckt kauft Prinz Tryggvasson diesen Schild … Oft denkt der neunzehnjährige Olaf an Norwegen, das Land seines Vaters.
… das Jahr 983: Jarl Hakon hat seinen Widersacher besiegt und Blut von dreihundertsechzig Männern versickert auf dem Schlachtfeld. Nun ist er der uneingeschränkte Herrscher in Norwegen. Sogar seinem Lehnsherrn, dem Dänenkönig Blauzahn,
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