Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Beide haben uns allein gelassen, mein Kind.« Thjodhild presste die Lippen aufeinander, um das Zittern des Kinns zu unterdrücken. Ich wäre mitgefahren. Was uns auch erwartet hätte, ich gehöre doch an eure Seite. Und nicht Katla.
Der Gedanke an die Magd schreckte sie auf. Ihre Ratlosigkeit schlug um in hellen Zorn: Katla! Dieses Weibsstück bestand aus einem runden Hintern und wippenden Brüsten. Mehr nicht. Nein, sei nicht ungerecht, mäßigte sie sich. Als die Männer zum Krieg gegen den Kerl vom Breidahof aufbrachen, hast du selbst die Magd an Bord geschickt. Weil sie tüchtig ist. Und jetzt fährt sie statt deiner mit ihnen auf dem Reittier ins Ungewisse. Füge dich dem Schicksal!
Thjodhild lächelte bitter, welch ein verfluchter Spruch. Sobald es Erik danach gelüstet, wird Katla mit Freude gehorchen. Nein, kein Verstoß gegen die Ehe. War eine Hausfrau krank, abwesend oder nur missgelaunt, bediente sich der Herr seiner Sklavinnen. »Auch dieser Unsitte muss ich mich beugen«, flüsterte Thjodhild, »aber gewöhnen, nein, gewöhnen werde ich mich niemals daran.«
Leif schlug mit den Ärmchen und beschwerte sich lauthals gegen Nässe und Kälte. »Du hast Recht, wir müssen zurück. Es reicht schon, wenn dein Vater und dein Ziehvater da draußen im Regen herumirren.«
Das Gerücht von Eriks Verbannung hatte sicher längst jeden Hof im Habichtstal erreicht! Thjodhild fürchtete die Lügen und sobald sich das Wetter wieder besserte, ließ sie Thorbjörn einen Knecht zu ihren Eltern schicken. Durch ihn sollten sie die Wahrheit erfahren: Erik war kein Mörder, auch wenn es jetzt den Anschein hatte.
Voller Sorge spürte Hallweig, dass die Freundin sich mehr und mehr in sich zurückzog. Ende August bat sie Thjodhild, mit ihr gemeinsam die lange schon angekündigten Frauenhosen zu nähen.
»Willst du uns verlassen?« Bei der Frage hatte sich Hallweig tiefer über den Stoff gebeugt.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß es nicht genau. Vielleicht weil du in den letzten Wochen häufiger von deiner Mutter erzählt hast.«
Fahrig strich Thjodhild eine lose Haarsträhne aus der Stirn. Es ist wahr, dachte sie, in meinen Träumen bin ich oft wieder daheim. Doch dorthin zurück will ich nicht. »Glaub mir, Leif und ich fühlen uns hier geborgen.« Jähe Übelkeit stieg in ihr auf. Heftig atmete sie dagegen an.
»Bist du krank?«
»Nein, nein. Es geht gleich wieder.« Thjodhild hatte sich fest vorgenommen, über ihre Vermutung zu schweigen, bis sie sich selbst ganz sicher war. Doch Hallweigs forschender Blick verlangte sofort nach Antwort. »Seit einiger Zeit geht etwas in mir vor«, begann sie umständlich. »Mein Körper verändert sich.«
Mehr zu sagen war nicht nötig. »Wirklich? Und ich glaubte schon … Kann es denn sein?«
»Möglich ist es. Erik war bei mir, in der Nacht, bevor er zum Breidafjord absegelte. Und seither ist das Blut ausgeblieben.«
»So ein Glück.« Hallweig umarmte die Freundin. »Nein, du darfst nicht fort, versprich es. Hier bei mir, bei uns auf dem Warmquellhang musst du dein Kind bekommen. Nirgendwo sonst.«
»Was ist mit seinem Vater?« Thjodhild sträubte sich noch gegen die Freude. »Nur von ihm kann es in die Familie aufgenommen werden. Wenigstens drei Jahre bleibt er fort.«
»Denke jetzt nicht daran! Beim Kinderkriegen stören die Männer ohnehin.« Platz gab es im Saunahaus genug; und Grima vom Adlerhof musste rechtzeitig gerufen werden. Hallweigs Wangen glühten, sie plante, als stünde die Geburt jeden Moment bevor. »Unsere Grima ist die beste Hebamme an der Südküste.«
»Langsam. Es kommt doch erst nach dem nächsten Schnee.«
»Das wollen wir auch hoffen. Schön ausgewachsene Finger und Zehen muss das Kleine haben.« Ein Gedanke trieb die Herrin vom Warmquellhang zum Tisch. »Unsere Hosen. An deiner erweitere ich gleich den Bund, sonst passt sie dir schon bald nicht mehr über den Bauch.« Heftig atmend nahm sie wieder Nadel und Stoff zur Hand. »Was wird es?«
Thjodhild hob die Achseln.
»Dann wird es ein Junge.« Als Hallweig den verblüfften Blick sah, setzte sie hinzu: »Bei mir wusste ich gleich, dass ich ein Mädchen trage. Deshalb bekommst du einen Sohn.«
»Diese Weisheit kenne ich gar nicht.« Thjodhild war bemüht, ernst zu bleiben. »Du bist wirklich eine kluge Frau.« Ihre Mundwinkel zuckten verräterisch und weil die Freundin das Schmunzeln erwiderte, lachten beide. Jede freute sich über das Lachen der anderen. Hallweig rang nach Luft, hustete und
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